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Die Beste Zum Schluss

Titel: Die Beste Zum Schluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Birbæk
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schon der Fehler. Vielleicht hätte ich damals schon in den Schmerz gehen und mich der Wahrheit stellen sollen, stattdessen habe ich einen Nebel erschaffen, um mich vor den Blicken anderer zu schützen – doch im Nebel hat niemand mehr Durchblick.
    »Ich hätte dich zwingen sollen«, murmelt Rene und versucht, sich aus meiner Umklammerung zu lösen. »Eine gute Freundin hätte dich persönlich ins Flugzeug gesetzt …«
    »Ja klar«, sage ich und halte sie fest. »Du hast mich vernachlässigt, und das nur, weil du Krebs hast. Mann, bist du egoistisch.«
    Sie verpasst mir eine auf den Rücken.
    »Autsch!«
    Sie schiebt ihre Hand um meine Taille und dreht sich. Seite an Seite betrachten wir die letzte Ruhestätte meiner Eltern. Den Grabstein, den ich damals aussuchen musste. Er wird ihnen nicht gerecht. Alles ging so schnell. Der Anruf, die Pathologie, die Unterlagen, Papiere, Entscheidungen … Es ist, als würde man einen Karton mit alten Fotos finden. Bilder sausen durch meinen Kopf. Schöne Bilder … warme Bilder … die Bilder meiner Kindheit. Jetzt, wo der Schmerz weg ist, wird mir wieder bewusst, wie viel Glück ich hatte. Zwei Menschen, die ich liebte, die mich liebten – achtzehn gute Jahre. So viel Glück hat nicht jeder. Seit ihrem Tod war ich viel zu sehr damit beschäftigt, enttäuscht von der Welt zu sein. Ich habe einen der schlimmsten Fehler begangen, den man machen kann: Ich habe aufgehört, dankbar zu sein.
    »Ich möchte ein Elterndenkmal bauen.«
    Rene dreht ihren Kopf und schaut überrascht zu mir hoch.
    »Ein Denkmal? Für Eltern?«
    Ich nicke.
    »Ja, ich denke schon. In jeder Stadt sehe ich Denkmäler für Soldaten und Schlachten … Ich möchte eines für die Menschen bauen, die die Gesellschaft zusammenhalten.«
    Sie lächelt ein schönes Lächeln.
    »Klingt gut. Kann ich mitmachen?«
    »Wirklich?« Ich nicke, mehr für mich selbst. »Ja«, sage ich. »Gut. Bauen wir ein Elterndenkmal. Auch für dich.« Ich drücke sie fest. »Du bist eine gute Mutter.«
    »Na ja …«
    »Halt die Klappe«, sage ich. »Den Kindern geht es gut. Sie können lieben und sind glücklich. Scheiß auf die Selbstzerfleischungen. Ich will, dass du ab heute damit aufhörst, perfekt sein zu wollen, sei lieber glücklich. So wie du bist, bist du gut genug.«
    Ihre Unterlippe beginnt wieder zu zittern. Ihre Augen werden blank. Sie zieht eine Grimasse.
    »Mist«, flucht sie und wendet ihr Gesicht ab. »Kaum fängt man damit an, mutiert man zum Weichei.«
    »Ach was, heul doch«, sage ich und ziehe sie wieder an mich. »Das tut gut.«
    Sie versucht, sich zu lösen. Ich halte sie fest.
    »Trottel«, schnieft sie und schmiegt sich an mich. »Du verpasst deine Maschine.«
    »Nie im Leben«, sage ich und halte sie fest.
    Der Abschied von den Kindern ist ein Persönlichkeitsdiagramm. Lola sitzt still da, hört sich meine Erklärung an, ohne zu unterbrechen, sie sagt keinen Ton, als ich erkläre, dass ich für einen Tag wegmuss, um Eva zu besuchen, und morgen wiederkomme. Es wäre einfacher, ihr zu verschweigen, dass ich Eva besuche, ich könnte auch sagen, dass ich arbeiten muss, aber nein, keine Lügen. Ihre Bezugspersonen sind nun mal kein Paar, und irgendwann müssen die Kinder das nicht nur erzählt bekommen, sondern auch erleben.
    Oscar ist es schnurzegal, wo ich hinfahre. Er will nur wissen, ob ich ihm was mitbringe. Fünf Minuten später habe ich gepackt. Als ich mit meiner Tasche auf die Veranda trete, sind alle da, nur von Lola ist nichts zu sehen. Ich schaue Rene an. Sie nickt zum Haus. Ich gehe wieder rein und klopfe an die Tür vom Schlafzimmer. Nichts. Ich öffne die Tür. Ein kleines Häufchen Mensch sitzt auf der Bettkante, einsam und verlassen. Der Anblick schmerzt.
    »Hey, Süße. Kommst du nicht raus und winkst?«
    Sie antwortet nicht. Ich setze mich neben sie und erkläre ihr die Sache noch mal … Morgen wieder da … Nur ein Mal schlafen … Nichts.
    Schließlich gebe ich die Erklärungen auf und versuche es mit Kitzeln. Sie reagiert genervt. Alles klar. Ich gebe ihr einen Kuss auf den Scheitel, stehe auf und erkläre ihr noch mal, dass ich morgen wieder da bin und mich total darauf freue. Nichts. Sie sitzt wieder mit gesenktem Kopf da. Gott, es bricht mir das Herz, aber es ist nur ein Tag. Was auch immer ihre Befürchtungen sind, sie werden erst morgen widerlegt, wenn ich auf der Matte stehe.
    Als ich die Schlafzimmertür erreiche, höre ich hinter mir ein lautes Schluchzen. Ich drehe mich um

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