Die Beste Zum Schluss
Schulter zeigt. Ich werfe einen Blick in die Richtung. Vor dem Hotel steht eine Reisetasche, an der Schlafrolle und Schlafsack befestigt sind. Ich blinzele. Die Tasche steht immer noch da. Mein Herz bleibt stehen.
»Ich musste erst packen«, sagt sie. »Darum hat es so lange gedauert.«
Ich schaue Eva an. Ihr Marmorgesicht ist ausdruckslos wie eh und je.
»Du kommst mit? Wirklich?«
Sie nickt, und schon liegen wir auf der Bank und küssen uns.
»Ich muss verrückt sein«, murmelt sie an meinen Lippen. »Ich lasse mich nach Deutschland knutschen.«
»Es gibt Schlimmeres«, lache ich, und der Wind bläst mir Sand in den Mund, weil ich gleichzeitig lache und knutsche und ihr verspreche, dass alles gut wird.
Irgendwann geht uns die Puste aus. Ich lege meine Handflächen auf ihre Wangen und kann mich nicht an diesen dunklen Augen sattsehen, in die ich vielleicht mein ganzes Leben schauen werde.
»Weißt du, meine Mutter war ziemlich wild, bevor sie meinen Vater traf.«
»Ach ja?«
Ich nicke.
»Er zog sie immer auf, dass sie all diesen tollen Männern den Laufpass gegeben hatte, bloß um schließlich bei einem wie ihm zu landen. Weißt du, was sie dann immer sagte? Den Besten zum Schluss.« Ich streiche ihr über die Wange. »Vielleicht ist es ja so, vielleicht passt irgendwann mal alles.«
Ihre Augen werden blank.
»Das wäre schön«, flüstert sie.
So startet er, der Rest meines Lebens. Mit Sand im Mund, an eine bleiche Frau gepresst, die aus Hoffnung weint.
Und dann reisten wir zurück. Statt der Welt, Liebe.
Epilog
Rene starb an einem Freitagmorgen. Lola hielt meine Hand, während der Sarg abgesenkt wurde, doch ihre Augen blieben trocken. Ganz die Mutter. Oscar heulte hemmungslos, doch er beruhigte sich bald. Es kam ja nicht unerwartet. Eine Woche zuvor hatten wir ihren Fünfundsiebzigsten gefeiert. Sie klagte über Schmerzen in der Brust, wollte aber nicht an ihrem Geburtstag zum Arzt. Abends fiel sie in der Küche um, während wir über Oscars neue Freundin lästerten. Auch unser letztes Gespräch beendete sie, ohne sich zu verabschieden.
Als sie damals nach der o p aufwachte, saß ich neben dem Bett und sah, wie sie zu sich kam, sich in die Achselhöhle fasste und lächelte. Der Krebs hatte nicht gestreut. Sie behielt ihre Brüste und ließ die Chemo ebenso klaglos über sich ergehen wie den Brustaufbau. Die Ärzte warnten vor der Wahrscheinlichkeit, dass der Krebs zurückkommt, doch bis zu ihrem Tod traute er sich nicht, und so galt Renes einzige Sorge den Brüsten ihrer Tochter. Lola begann sich bei unseren Anrufen lapidar mit ›Beide noch dran‹ zu melden, doch ansonsten hielt sie die Familienehre hoch: Sie ließ sich während ihres Ökotrophologie-Studiums von einem Musiker schwängern, den sie im vierten Monat der Schwangerschaft verließ. Sie brachte ihre Tochter, Lilli, zur Welt, studierte zu Ende und arbeitete dann als Food-Chain-Managerin sechzig Stunden die Woche. Wie gesagt, ganz die Mutter – bis auf eine Kleinigkeit: Eines Tages brachte sie einen muslimischen Trommler mit zu einem Familienfest. Alle schlossen Jamal sofort ins Herz, der uns zu Tänzern und Lola, ein Jahr später, zu seiner Frau machte.
So heiratete wenigstens einer aus der Familie, denn Rene schaffte das nicht. Sie blieb ihr ganzes Leben lang Single. An Angeboten mangelte es nicht, aber irgendwas hatte sie immer an den Männern auszusetzen. Bis zu ihrem Tod stritten wir regelmäßig über ihre rückständigen Beziehungsvorstellungen, doch sie verteidigte ihre romantischen Ansichten ohne Rücksicht auf die Fakten. Immerhin ging sie oft tanzen und blieb manchmal über Nacht fort. Einen Sommer lang tanzte sie sogar mit demselben Mann, das war ihr Beziehungsrekord.
Oscar handhabte das ganz anders. Leider. Von klein auf brachte er eine Horrortusse nach der anderen mit nach Hause – und blieb dann auch noch ewig mit ihnen zusammen, egal wie sehr wir klagten. War dann endlich die eine weg, dauerte es nicht lange, bis das nächste Prachtexemplar auf der Türschwelle stand. Oscar hatte einen großen Freundeskreis und natürlich seine Familie – ich glaube, er nahm seine Freundinnen irgendwie bloß als »Beiwerk« dazu. Was ihn wirklich interessierte, war das Zocken. Er machte ein Praktikum in einer Spieleentwicklungsfirma, ließ eine Ausbildung zum Gamedesigner folgen und begann, Geld zu verdienen. Mit den Einnahmen stieg die äußerliche Klasse seiner Begleiterinnen, innerlich blieb alles beim Alten, und es wurde ein
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