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Die Beste Zum Schluss

Titel: Die Beste Zum Schluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Birbæk
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diem.
    Gerd hebt überrascht den Kopf, als ich in sein Büro marschiert komme.
    »Text schon fertig?«
    »Fast«, sage ich und bleibe vor ihm stehen. »Ich soll ja meinen Resturlaub nehmen.«
    Er beäugt mich wachsam.
    »Und?«
    »Ich nehme meinen Resturlaub.«
    Er lehnt sich in den knarrenden Stuhl zurück und faltet seine Arme vor der Brust.
    »Was wird das, eine Trotzphase?«
    »Ich dachte eher an eine Urlaubsphase.«
    Er steht auf und pflanzt eine Backe, so groß wie ein Kleinwagen, auf die Ecke seines Schreibtisches. Gott, wenn er jetzt hustet, wird er das Ding per Hebelwirkung aus dem Fenster feuern.
    »Mads, das ist doch kindisch«, sagt er.
    »Na, irgendwann muss ich doch mal Urlaub machen. Den Caro-Text maile ich dir noch diese Woche«, sage ich.
    Er hockt da wie ein versteinerter Riesenfrosch.
    »Du bist sauer, weil ich noch ein Jahr ranhänge.«
    Nein, ich bin verknallt und habe ein Ticket nach Kanada.
    »Ich würde das nicht machen, wenn die Zeiten besser wären«, sagt er. »Ich habe wegen der Bankenkrise einen Teil meiner Altersvorsorge verloren.«
    »Ja, wer nicht«, sage ich. »Ich wundere mich bloß, dass es jeder wusste, nur ich nicht.«
    Er richtet sich etwas auf.
    »Ich bin dir keine Rechenschaft schuldig.«
    Hat er den Verstand verloren? Ich plane seine verdammte Abschiedsparty, aber er ist mir keine Rechenschaft schuldig. Und der Roman, den er schreiben wollte, und der Garten, den er pflegen wollte, und der Segeltörn … Ich hätte mir denken können, dass das alles Quatsch ist.
    »Also, was ist, bekomme ich Urlaub oder nicht?«
    »Nicht in dem Ton, mein Lieber.«
    »Sorry, ich bin einfach urlaubsreif.«
    Er mustert mich skeptisch.
    »Du willst deinen ganzen Resturlaub nehmen?«
    Ich zögere kurz. Himmel, das wären, mit meinem Jahresurlaub, insgesamt fast drei Monate am Stück. Kompletter Irrsinn.
    Eine Minute später marschiere ich aus seinem Büro heraus und unterdrücke ein Lachen. Als er mir erklärte, dass sich nichts ändern würde, ich würde ja seinen Posten bekommen, nur eben ein Jahr später, schaffte ich es, ihm wortlos zuzunicken – und dann gab er mir Urlaub. Drei Monate! Wahnsinn. So gut habe ich mich ewig nicht mehr gefühlt.
    Vanessa kommt mir auf dem Flur entgegen. Heute trägt sie eine weiße Bluse, an der sich irgendwie ein paar Knöpfe gelöst haben. Ich kann den Ansatz ihrer Brüste sehen, wie jeder andere auch. Ich strahle sie an.
    »Hast du eine Sekunde?«
    Da ich ihr den Weg versperre, bleibt ihr gar nichts anderes übrig, als stehen zu bleiben. Sie hebt eine dünn gezupfte Augenbraue. Ich lege meine Arme auf ihre Schultern. Sie schaut mich merkwürdig an. Bis eben war ich der einzige Kerl in der Stadt, der nicht jede Chance nutzte, um sie zu begrapschen.
    »Was ich dir schon immer mal sagen wollte …« Ich drücke ihr einen Schmatzer auf die perfekte Nase und strahle sie an. »Fliegt der Vogel gegen den Baum, merkt der Stamm es kaum.«
    Hach, wie sie guckt. Herrlich. Ich marschiere fröhlich pfeifend den Gang hinunter in mein Büro und packe gerade meinen Laptop ein, als sie drüben in ihr Büro kommt. Ich winke ihr zu. Sie senkt den Blick. Ha! Da hätte ich wirklich früher drauf kommen können. Arschlöcher brauchen Ablehnung als Bestätigung. Mit Zuneigung kommen sie nicht klar. Ab jetzt wird zurückgeknutscht!
    Ich fahre zügig durch Köln. Etwas, das ich bisher nicht kannte. So sehen Straßen also aus, wenn keine Rushour ist. Als weitere Überraschung hole ich die Kinder zu früh aus der Kita ab. Sie starren mich an wie einen Geist, als ich hereinspaziert komme. Dann stürmen sie schreiend auf mich zu. Vorgestern pünktlich abholen war schon der Hammer. Zu früh abholen macht sie völlig fertig.
    »Wer hat Lust auf ein Eis?«
    Tinnitus.
    Wie gut es mir geht, merke ich daran, dass es meine Laune nicht verbessert, mit den beiden zu einem Eiscafé zu gehen und dort tausend Kalorien zu verspeisen. Verschlechtern tut sich meine Laune aber auch nicht. Während Oscar sich und den Tisch mit Eis bekleckert, seine Limonade umkippt und aus Versehen auf eine Hundepfote tritt, erklärt er mir seinen ganzen Tag. Lola dagegen isst ihr Eis still und sauber von außen nach innen auf und wirkt anschließend wie aus dem Ei gepellt. Als ich sie betrachte, muss ich an meine Eltern denken. Die beiden sind genauso, nur umgekehrt. Mein Vater war ruhig, zuverlässig, bedacht, wie Lola. Meine Mutter war wie Oscar. Mein Vater galt als der perfekte Vater, meine Mutter hingegen wurde in

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