Die Besteigung Des Rum Doodle
in Europa ist, so ist wieder der Gotthard der höchste Berge der Schweiz und also der höchste Punkt von unserm Welttheil.« Auch Schweizer Autoren schrieben zu jener Zeit noch vom Gotthard, als sei dieses gerade mal 3000 Meter hohe Massiv (einen Gotthard-Gipfel gibt es gar nicht) tatsächlich das höchste der Welt. Ein klarer Fall von Wunschdenken: Dennder Gotthard hatte als Wasser- und Sprachscheide sowie als Pass nach Italien für die Schweiz schon damals große Bedeutung.
Zum Glück der vorrevolutionären Franzosen rückten verbesserte Messinstrumente nur ein Jahr später die Dinge in Europa zurecht. Und es war ausgerechnet ein Engländer, der Frankreich zum offiziell höchsten Berg der Alpen verhalf: Sir Georg Shuckburgh vermaß den Montblanc trigonometrisch und kam auf 4779 Meter. Er lag also recht nahe an der tatsächlichen Höhe (4807) und stellte auch richtig, dass der Gipfel des Mont Maudit, der vom Chamonix-Tal aus betrachtet höher als der des Montblanc aussieht und daher ebenfalls eine Weile als der höchste Berg der Welt galt, über 300 Meter tiefer liegt.
Es überstieg im 18. Jahrhundert noch die Fantasie der eurozentrischen Welt, dass es fernab der Alpen Berge geben könnte, die sieben-, acht- und fast neuntausend Meter hoch sind. Noch war Europa das Maß der Dinge – aber das sollte sich bald ändern. Seefahrer, die auf dem Weg nach Amerika an den Kanaren vorbeisegelten, hatten schon eine Ahnung, dass die höchsten Berge der Welt nicht in Europa zu suchen sind. Und so galt der Teide, ein 3718 Meter hoher Vulkan auf Teneriffa, der vom Meer aus betrachtet sehr hoch aussieht, eine ganze Weile lang als höchster Berg der Welt. Seefahrer, die ihn vom Atlantik aus sahen, kamen zu dem Schluss, dass es unmöglich einen höheren Berg auf diesem Planeten geben könne. Sie behaupteten, dass der Teide aus einer Entfernung von 60 Seemeilen zu sehen war, und schlussfolgerten seemannsgarnartig, dass er ebenso hoch sein müsse: über 100 Kilometer. Um mit derartigen Geschichten ein für alle Mal aufzuräumen, bedurfte es schon eines vermessungsbesessenen Deutschen.
Alexander von Humboldt und sein Gefährte Aimé Bonplanderreichten Teneriffa im Juni 1799. Sie blieben sechs Tage lang auf der Insel – und stiegen auf den Berg. Humboldt wäre nicht Humboldt gewesen, wenn er auf dieser beschwerlichen Tour nicht seine ganze wissenschaftliche Ausrüstung mitgeschleppt hätte: Spiegelsextanten, Quecksilberbarometer und -thermometer, Chronometer und Teleskope, Inklinationsbussolen und Hypsometer. Unterstützung hatten sie dabei offenbar kaum. Humboldt notierte später: »Leider trug die Faulheit und der üble Wille unserer Führer viel dazu bei, uns das Aufsteigen sauer zu machen … Sie waren träg zum Verzweifeln … Sie setzten sich alle zehn Minuten nieder, um auszuruhen; sie warfen uns die Handstücke Obsidian und Bimsstein, die wir sorgfältig gesammelt hatten, weg, und es kam heraus, dass noch keiner auf dem Gipfel des Vulkans gewesen war.« Doch dafür vermaß Humboldt den Teide auf die noch heute gültige Höhe: 3718 Meter – über 1000 Meter weniger als der Montblanc. Der Titel des höchsten Berges ging also wieder zurück in die französischen Alpen, und dem Teide ist bis heute nur jener des höchsten Berges Spaniens geblieben.
Humboldt und Bonpland segelten im Juni 1799 auf der
Pizarro
weiter nach Südamerika, wo sie die Geschichte des höchsten Berges der Welt erneut umschreiben sollten. Ziemlich genau drei Jahre später versuchten sie sich am Chimborazo, einem erloschenen Vulkan in den Anden, der heute zu Ecuador gehört und 6267 Meter hoch ist. Die Betonung liegt auf
versuchten
. Als sie sich dem vergletscherten Gipfel näherten und bereits an der Höhenkrankheit litten, versperrte ihnen eine Gletscherspalte den Weg und zwang sie, 400 bis 800 Meter unterhalb des Kraters, zur Umkehr. Humboldt beschrieb neben dem schlechten Wetter, der begrenzten Sicht und den mühsamen Messungen auch die leidvollen Strapazen: Schwindel und Brechreiz, sie taumelten überden Gletscher, und das Blut lief ihnen aus den Lippen und dem Zahnfleisch. Es war die erste genaue Beschreibung der Symptome der Höhenkrankheit. Trotzdem stellten sie mit ihrem Aufstieg einen Rekord auf – sie schätzten, dass sie auf 5880 Meter waren. Tatsächlich, so wies man später nach, waren es nur 5350 Meter. Aber egal: Höher waren Menschen nie zuvor auf einen Berg gestiegen.
Es gibt spitzfindige Menschen, die halten den Chimborazo auch
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