Die besten Crime-Stories.: Meistererzählungen der Queen of Crime
seinem Wesen, das mich abstieß, eine Forschheit, die mich nicht sehr sympathisch beruhte. Sobald ich Schwester Marie-Angéliques Namen erwähnte, richtete er sich gespannt auf .Offenbar war er brennend an ihr interessiert .Ich wiederholte ihm Ryans Erzählung.
«Aha!» sagte er nachdenklich «Das erklärt allerdings vieles!» Nach einem schnellen Blick auf mich fuhr er fort: «Der Fall ist wirklich hochinteressant .Als die Frau hierher kam, hatte sie offenbar kurz zuvor einen schweren seelischen Schock erlitten. Außerdem befand sie sich in einem hochgradigen geistigen Erregungszustand. Sie neigte zu Halluzinationen von äußerst erschreckender Natur. Ja, sie ist eine höchst ungewöhnliche Persönlichkeit. Vielleicht würden Sie gern mit mir kommen und sie kennenlernen. Sie ist wirklich einen Besuch wert.»
Ich erklärte mich nur zu gern einverstanden.
Wir machten uns zusammen auf den Weg. Unser Ziel war ein winziges Haus am Rande der Ortschaft. Folbridge ist ein höchst malerisches Dorf. Es liegt an der Mündung des Flusses Fol, mit dem Hauptteil am Ostufer, da das Westufer zu steil zum Bauen ist .Dennoch kleben dort ein paar Häuser am Hang, und das Haus des Doktors selbst erhob sich am äußersten westlichen Punkt der Steilklippe. Von dort blickte man direkt hinunter auf die hohen Wellen, die gegen schwarze Felsen brandeten.
Das Häuschen, zu dem uns der Weg nun führte, lag dagegen weiter im land, außer Sichtweite des Meeres.
«Die Gemeindeschwester wohnt dort», erklärte Dr. Rose. «Ich habe für Schwester Marie-Angélique bei ihr ein Zimmer besorgt. Es kann nicht schaden, wenn sie eine ausgebildete Pflegerin in der Nähe hat»
«Wirkt sie in ihrer Art ganz normal?» fragte ich neugierig. «Das werden Sie gleich selbst beurteilen können», antwortete er lächelnd.
Die Gemeindeschwester, eine füllige, freundliche kleine Frau, schwang sich gerade auf ihr Fahrrad, als wir ankamen.
«Guten Abend, Schwester, was macht Ihre Patientin?» rief der Arzt.
«Ungefähr das gleiche wie immer, Doktor. Sitzt mit gefalteten Händen da und ist in Gedanken irgendwo weit weg. Oft antwortet sie nicht einmal, wenn ich sie anspreche, obwohl man natürlich bedenken muß, daß sie selbst heute noch sehr wenig Englisch versteht»
Rose nickte, und während die Gemeindeschwester davonradelte , ging er auf die Haustür zu, klopfte energisch und trat ein.
Schwester Marie-Angélique ruhte auf einer Chaiselongue neben dem Fenster. Sie wandte uns das Gesicht zu, als wir das Zimmer betraten.
Sie hatte ein seltsames Gesicht bleich, fast durchsichtig, mit riesigen Augen, in denen eine unendliche Tragik zu liegen schien.
«Guten Abend, Schwester», sagte der Arzt auf französisch.
«Guten Abend, Monsieur le docteur.»
«Gestatten Sie, daß ich Ihnen einen Freund vorstelle – Mr. Anstruther.»
Ich verbeugte mich, und sie neigte leise lächelnd den Kopf
«Und wie geht es Ihnen heute?» erkundigte sich der Arzt, während er neben ihr Platz nahm.
«So ziemlich wie immer.» Sie verstummte kurz. «Alles erscheint mir so unwirklich. Sind es Tage, die vergehen, oder Monate – oder Jahre? Ich merke es kaum. Nur meine Träume sind Wirklichkeit für mich.»
«Dann träumen Sie also immer noch so viel?»
«Immerzu – immerzu – und, verstehen Sie, die Träume erscheinen mir wirklicher als das Leben.»
«Sie träumen von Ihrem Heimatland – von Belgien?» Sie schüttelte den Kopf «Nein. Ich träume von einem Land, das es nie gegeben hat – niemals. Aber das wissen Sie doch, Monsieur, das habe ich Ihnen schon oft erzählt.» Sie hielt inne und fragte dann unvermittelt:
«Doch vielleicht ist dieser Herr auch Arzt – vielleicht ein Arzt für Geisteskrankheiten?»
«Aber nein», antwortete Rose beruhigend.
Als er lächelte, fiel mir auf, wie ungewöhnlich spitz seine Eckzähne waren. Ich fand plötzlich, daß der Mann etwas Wolfsähnliches an sich hatte.
«Ich dachte bloß, es würde Sie vielleicht interessieren, Mr. Anstruther kennenzulernen », fuhr Rose fort. «Er kann Ihnen von Belgien erzählen. Er hat unlängst Nachricht von Ihrem Kloster bekommen.»
Ihre Augen hefteten sich auf mich. Eine schwache Röte stieg in ihre Wangen.
«Es ist eigentlich nichts Besonderes». sagte ich hastig. «Ich aß bloß neulich mit einem Freund zu Abend, und dieser hat mir bei der Gelegenheit von der Ruine des Klosters erzählt»
«Es liegt also in Trümmern!»
Ein leiser Ausruf, der eigentlich mehr ihr selber galt als uns . Dann
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