Die besten Crime-Stories.: Meistererzählungen der Queen of Crime
im Paradies, und die anderen sind im Fegefeuer.»
«Ihre Vorstellung vom Leben nach dem Tode ist erfrischend einfach, Elise», sagte Raoul und ließ sich in einen Sessel fallen.
Die alte Frau straffte sich.
«Ich bin eine gute Katholikin, Monsieur.»
Sie bekreuzigte sich, ging zur Tür, hielt dann inne, eine Hand auf der Klinke: «Später, wenn Sie beide verheiratet sind, Monsieur, wird das doch nicht so weitergehen, all das?» fragte sie.
Raoul lächelte sie freundlich an.
«Sie sind eine gute, gläubige Seele, Elise», sagte er, «und Sie sind Ihrer Herrin treu ergeben.
Haben Sie keine Angst. Wenn sie einmal meine Frau ist, dann hört dieses Geisterzeug auf, wie Sie das nennen. Für Madame Daubreuil wird es keine Sitzungen mehr geben.»
Elises Gesicht strahlte.
«Ist das wirklich wahr?» fragte sie.
Der Mann nickte ernst
«Ja», sagte er, mehr zu sich selbst als zu ihr. «Ja, das muß aufhören. Simone hat eine großartige Gabe, und sie hat sie großzügig angewandt, aber jetzt hat sie ihr Teil getan. Wie Sie gerade erwähnt haben, Elise, wird sie Tag für Tag blasser und dünner. Das Leben eines Mediums ist ganz besonders anstrengend und hart, vor allem durch die enorme Nervenbelastung. Nichtsdestoweniger, Elise, Ihre Herrin ist das wunderbarste Medium von Paris – nein, mehr, von Frankreich. Leute aus der ganzen Welt kommen zu ihr, weil sie wissen, daß bei ihr kein Trick und kein Betrug dabei ist.»
Elise gab einen zufriedenen Seufzer von sich.
«Betrug! Ach nein, wirklich nicht Madame könnte nicht mal ein neugeborenes Baby betrügen, selbst wenn sie es wollte.»
«Sie ist ein Engel», schwärmte der junge Mann. «Und ich - ich werde alles tun, was ein Mann tun kann, um sie glücklich zu machen. Glauben Sie das nicht?»
Elise straffte sich wieder und sprach mit einfacher Würde: «Ich habe Madame viele Jahre lang gedient, Monsieur. Mit allem Respekt kann ich wohl sagen, ich liebe sie. Wenn ich nicht daran glaubte, daß Sie sie vergöttern, wie sie es verdient - eh bien, Monsieur, dann würde ich Ihnen die Glieder einzeln ausreißen.»
Raoul lachte.
«Bravo, Elise! Sie sind eine treue Freundin. Und nun müssen Sie mir auch glauben, was ich Ihnen gesagt habe: Madame wird die Geister in Ruhe lasse.»
Er hatte erwartet, daß die alte Frau über seinen kleinen Witz lachen würde, doch zu seiner Überraschung blieb sie ernst.
«Monsieur, nehmen wir einmal an», sagte sie zögernd, «die Geister lassen sie nicht in Ruhe.»
Raoul sah sie verblüfft an.
«Wie meinen Sie das?»
«Ich sagte», wiederholte Elise, «nehmen wir einmal an, die Geister lassen Madame nicht in Ruhe.»
«Ich dachte, Sie glauben nicht an Geister, Elise.»
«Nicht mehr», sagte Elise trotzig. «Es ist töricht, daran zu glauben. Aber trotzdem ..»
«Nun?»
«Es fällt mir schwer, das zu erklären, Monsieur. Sehen Sie, ich habe immer gedacht, daß diese Medien, wie Sie sie nennen, einfach raffinierte Betrüger sind. Aber Madame ist nicht so. Madame ist gut. Madame ist ehrlich und -» Sie senkte die Stimme und sprach weiter in einem furchtsamen Ton.
«Es geschehen Dinge. Das sind keine Tricks. Es geschehen Dinge, und darum habe ich Angst. Denn eines glaube ich sicher, Monsieur: daß es nicht recht ist. Es ist gegen die Natur und gegen Gott, und irgend jemand wird dafür büßen, müssen.»
Raoul sprang aus seinem Sessel auf, ging auf sie zu und klopfte ihr auf die Schulter.
«Beruhigen Sie sich, gute Elise», sagte er lächelnd «Hören Sie mal zu, ich werde Ihnen etwas Erfreuliches sagen. Heute ist die letzte dieser Séancen; ab heute abend wird es keine mehr geben.»
«Heute findet also eine statt?» fragte die alte Frau argwöhnisch.
«Die letzte, Elise, die letzte.»
Elise schüttelte traurig den Kopf
«Madame fühlt sich nicht wohl...», begann sie.
Aber sie wurde unterbrochen, denn die Tür öffnete sich, und eine große blonde Frau trat ein.
Sie war schlank und anmutig. Ihr Gesicht glich dem einer Botticelli-Madonna. Raouls Augen strahlten, und Elise zog sich schnell und diskret zurück.
«Simone!»
Er ergriff ihre schlanken weißen Hände und küßte sie.
«Raoul, mein Liebster.»
Wieder küßte er ihre Hände, dann betrachtete er eingehend ihr Gesicht.
«Simone! Du siehst blaß aus! Elise sagte mir, daß du dich ausgeruht hast Du bist doch nicht etwa krank, meine Liebste?»
«Nein, krank nicht.. .» Sie zögerte.
Er führte sie zum Sofa und setzte sich neben sie. «Sag mir, was dir
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