Die besten Freunde meines Lebens - Roman
wieder aus. Vielleicht war Stille doch besser.
Dann setzte sie sich an den kleinen Glastisch, klopfte den Unterlagenstapel auf der Glasplatte aus, um ihn zu begradi gen, und legte ihn parallel zur Tischkante wieder hin. Eigent lich brauchte sie die Unterlagen gar nicht. Sie hatte alles im Kopf, doch der Anblick der Zahlenkolonnen beruhigte sie. Wenn jedes Argument versagte, könnte sie David mit Zahlen blenden, wie ihr das auch immer bei Nicci gelungen war. Nur ging es hier nicht um Zahlen. Es ging um Menschen.
»Entschuldige die Verspätung.« David kam hinter Si in die Küche, zog sein nasses Jackett aus und warf es über die Küchentür, wo es gleichmäßig vor sich hintropfte. Dann ließ er sich in einen der Eames-Stühle fallen, die Si schon einmal für ihre geplante neue Küche gekauft hatte. »Mein Babysitter kam zu spät.«
»Agentur?«
»Nein, Tante Lizzie ist in die Bresche gesprungen, was die Mädchen natürlich super finden. Sie lässt ihnen alles durchgehen.«
»Wein?«, fragte Si.
»Danke, gern.« David nahm das Glas entgegen und kostete. »Mm, ein gutes Tröpfchen. Gibt’s einen besonderen Anlass?«
Jo schüttelte den Kopf. »Sonderangebot. Drei für zwei und bei sechs noch mal fünf Prozent Nachlass.«
»Du hast mir gar nicht erzählt, dass du sechs Flaschen gekauft hast«, sagte Si.
Übermütig kniff ihn Jo in die Wange. »Weil ich drei gekauft habe.«
»Wie lief es mit unserem Arschloch?«, warf David ein.
»Du hast dich daran erinnert!«, rief Jo beeindruckt. Wenn er wegen letzter Woche noch sauer auf sie war, so ließ er es nicht erkennen. Sie entspannte sich merklich.
»Na ja …« David warf einen Blick in Sis Richtung. Er war schon immer ein schlechter Lügner gewesen. »Eigentlich hat Si mich daran erinnert. Ich wusste, dass das irgendwann ansteht. Ende Augus t / Anfang September gibt es immer den Bericht über den zweiten Quartalsabschluss und die Strategie für das kommende Jahr. Aber ich hatte keine Ahnung, dass der Termin heute war.«
»Kein Problem«, sagte Jo. »Du hast genügend andere Sorgen. Mit Monihan lief es ganz gut. Sicher, dasselbe Arschloch wie eh und je …«
»Aber?«
»Kein Aber.«
David seufzte. »Jo, red nicht um den heißen Brei herum. Ich habe eindeutig ein ›Aber‹ herausgehört.«
Apropos schlechte Lügner … »Nun, nicht wirklich ein ›Aber‹. Die Firma steht gut da. Das zweite Quartal war sogar besser als im letzten Jahr. Was angesichts der Umstände …«
»Das ist super, Jo, ehrlich.« David drückte ihre Hand. »Denk nicht, ich wüsste nicht zu schätzen, was du für die Firma leistest. Ich selbst bin für Capsule Wardrobe ja mehr als nutzlos.«
Lächelnd erwiderte Jo den Druck seiner Hand. »Ich tue nur meinen Job.« Sie merkte, wie ihr Mund vor Aufregung trocken wurde. Es half nichts, sie musste Farbe bekennen. »Die Sache ist die, es ist nicht mein Job, der gegenwärtig ein Problem ist …« Sie schluckte. »Entschuldige, David, ich bin etwas neben der Spur. Solltest du mich dabei ertappen, dass ich Phrasen wie ›ich fantasier mal frei drauflos‹, ›neue Wege beschreiten‹ und ›das Problem angehen‹ benutze, dann gib mir ruhig einen Tritt.«
»Aha.« David machte ein ernstes Gesicht. »Ehrlich gesagt frage ich mich schon die ganze Zeit, was du mit Niccis Stelle vorhast.«
»Wirklich?« Jo fiel aus allen Wolken.
»Also bitte, Jo! Erst erzählst du mir, dass du jemanden suchst und dann … nichts. Ich leite auch eine Firma. Und jede Firma ist nur so gut wie ihre Mitarbeiter. Der kreative Kopf von Capsule Wardrobe ist …«, er hielt inne und senkte den Blick. Schweigend warteten Si und Jo, bis er sich wieder gefangen hatte.
Als David aufblickte, schimmerten seine Augen feucht. »… nicht mehr da.«
Si warf Jo einen Blick zu. Hab ich dir doch gesagt, stand darin. Er hat seine Frau verloren, er leidet, er ist einsam, aber er ist kein Idiot .
»Wir müssen einen angemessenen Ersatz für sie finden«, sagte Jo. Die Worte hingen wie Blei in der Luft. Und eine Stimme in ihrem Kopf kreischte: »Verräterin!«
David versteht das, sagte sie sich. Und vor allem würde Nicci es verstehen.
»Si hat erzählt, du hast einen Headhunter engagiert.«
Si hat erzählt …?
Si schlang den Arm um sie. »Joey, als stiller Partner der Firma halte ich den anderen Partner natürlich auf dem Laufenden, während du deine Energie darauf verwendest, unser gemeinsames Unternehmen am Leben zu erhalten. Das ist doch okay, oder?«
Zu
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