Die besten Freunde meines Lebens - Roman
Wochen auf ihrer To-do-Liste, aber immer wieder war irgendetwas dazwischengekommen. Dank Niccis Briefen wurde es immer schwerer, das Geschäftliche vom Privaten zu trennen. Seit dem Krach wegen Niccis Mutter hatten sie kaum noch Kontakt. Sollte sie ihm etwa eine E-Mail schicken, mit dem Betreff: »Ersatz für Nicci«?
Doch es sah ganz so aus, als bliebe ihr keine andere Wahl. Schließlich ging es nicht nur um Niccis Stelle, es ging um ihr Vermächtnis. Und das ging David sehr wohl etwas an.
An Konzentration war nicht zu denken. Seit einer Stunde saß Jo im Café Nero und starrte auf die Tabellenkalkulationen auf ihrem Laptop. Sie war gleich nach der Besprechung mit GC hierhin geflüchtet, um sich vor dem Regen in Sicherheit zu bringen. Riesige warme Tropfen, die sie bis auf die Haut durchnässt hatten, bis sie endlich ein Café fand.
Die Zahlen an sich waren gut. Sie taten alles, was sie tun sollten: reihten sich untereinander, summierten sich zu einem netten runden Plus mit einem zweistelligen Prozentplus in der nächsten Spalte. Mit Zahlen konnte Jo umgehen, doch wenn Zahlen von Texten und Bildern abhingen, geriet sie ins Straucheln. Und diese Zahlen hier benötigten mehr als bloße Mathematik, sie brauchtenVisionen, um sich vervielfachen zu können. Wenn Jo nicht bald einen Ersatz für Nicci fand, konnte keine noch so raffinierte Buchhaltung diese Bilanz zum Erfolg führen.
Das Problem war, es fühlte sich falsch an. Capsule Wardrobe gehörte einzig und allein Nicci und ihr. Es war vielleicht sentimental, aber jemand Neuen in die Firma zu holen kam ihr vor wie ein Verrat. Und das wäre nicht der erste. Vergangene Woche hatte sie nicht aufbegehrt, als David verkündete, er werde Niccis Mutter den Kontakt zu seinen Töchtern erlauben, und jetzt war Jo selbst drauf und dran, Nicci in der Firma zu ersetzen. Es mochte abergläubisch klingen, doch Jo kam es vor, als wäre der dritte Verrat nicht mehr weit entfernt.
Eine Träne stahl sich aus ihrem Auge. Jo wischte sie weg und schloss die Augen. Wie konnte Nicci ihr das antun, ihr die Verantwortung für all ihre Babys aufbürden?
Sie sollte nach Hause gehen und ihre Arbeit am Küchentisch fortsetzen. Außerdem stand heute die geschäftliche Besprechung mit David an. Sie hatte Si eine SMS geschickt und ihn gebeten, David anzurufen und einen Termin auszumachen.
Si hatte es sich nicht nehmen lassen, Jo zurückzusimsen, was sie selbst wusste – dass sie feige war –, doch er hatte David angerufen und für sieben Uhr ein Treffen vereinbart.
Jo blickte aus dem Fenster des Cafés. Es regnete immer noch, ein lauer, träger Augustregen, der nasser war, als er aussah. Noch einen Kaffee, sagte sie sich, danach werde ich gehen. Regen hin oder her.
Ihren Laptop im Auge behaltend, stellte sich Jo an der Theke an. Während sich die Schlange schleppend voranbewegte, ließ Jo den Blick durch das Café schweifen. An den Tischen saßen Anzugtypen und Frauen in Businesskostümen, die in ihre Blackberrys starrten, ihre iPhones checkten, Telefonnummern eintippten und fettreduzierten Latte macchiato tranken. Auch Jo war früher so ein Businesstyp gewesen, bevor Nicci sie überredet hatte, dieses Leben auf zugeben und bei Capsule Wardrobe einzusteigen. Nicci hatte Jo eine andere Möglichkeit aufgezeigt, ihre Fähigkeiten zu nutzen, und Jo hatte es geliebt, selbst an Tagen, an denen sie Nicci am liebsten erwürgt hätte. Und von solchen Tagen hatte es genug gegeben.
»Was darf es sein?«
»Ein großer Earl Grey mit fettarmer Milch und Zitrone und einen Mohn-Muffin«, sagte Jo. Sie hatte sich im letzten Moment umentschieden. Das Mittagessen hatte sie ausfallen lassen, und da sie heute Abend wahrscheinlich nicht mehr viel essen würde, konnte sie sich den Muffin erlauben.
Als sie sich umdrehte, sah sie, wie einer der Anzugtypen – grauer Anzug mit blauen Nadelstreifen, teuer, aber nicht in derselben Liga wie Gabriel Monihan – auf sie zukam, den Arm um eine sehr viel jüngere Frau geschlungen. Sie trug ein marineblaues Kostüm mit etwas zu kurzem Rock, und aus dem Ausschnitt ihres Sakkos blitzte ein Stück Spitze hervor.
Auf den ersten Blick unterschied er sich nicht von den anderen Anzugträgern im Raum. Um die vierzig, schütteres sandfarbenes Haar mit grauen Strähnen. Trotz des fliehenden Kinns attraktiv, wenn man diesen Typ mochte. Und angesichts der jungen Blondine in seinem Arm standen wohl einige auf ihn. Irgendwie kommt er mir bekannt vor, dachte Jo, während sie
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