Die besten Freunde meines Lebens - Roman
eine Menge aus. Es beeinflusst den Fall, den Faltenwurf, alles. Und sollten Sie sich doch für flach entscheiden, müssen wir den Rock abändern.«
Nicci verdrehte die Augen und wandte sich Jo zu, die in ihrem dunkelgrauen Businesskostüm hinter ihr auf dem Boden saß. »Was meinst du dazu?«
»Was soll ich schon groß dazu meinen? Ich kenne mich mit Mode nicht aus. Zumindest erzählst du mir das ständig.«
»Sag mir trotzdem, was du davon hältst.«
Jo musterte ihre Freundin. »Ich finde, du siehst toll aus. Aber mir fehlt für so etwas der Wortschatz. Wenn ich es in Zahlen ausdrücken könnte, wäre es kein Problem. Du hättest Lizzie mitnehmen sollen.«
»Ach, Lizzie ist dafür nicht geeignet«, erwiderte Nicci. »Sie ist so ein sentimentales Huhn und würde ständig nur sagen: ›O Nicci, du siehst wie eine Prinzessin aus‹, was auch nicht weiterhilft. Ich brauche eine sachliche, objektive Meinung. Deshalb habe ich eine Buchhalterin mitgenommen.«
»Okay, du siehst tatsächlich wie eine Prinzessin aus. Aber wie eine Zwanzigerjahre-Prinzessin. Sehr glamourös. Was wohl auch beabsichtigt ist.«
Nicci drehte sich um und betrachtete sich im Spiegel. So dünn und zierlich wie sie war, hatte es keinen Sinn, sich in Push-up-Korsetts und Reifröcke à la Westwood oder in eine klassische, schulterfreie Robe à la Wang zu kleiden. Sie hatte schon vor Langem gelernt, ihre Vorzüge ins rechte Licht zu rücken, und das schmale Empirekleid mit den aufgestickten Perlen und der gefältelten Spitze war für ihren kleinen Busen am vorteilhaftesten.
Sie würde nur einmal heiraten.
Nicci hatte das vor langer Zeit beschlossen, als sie auf dem Feldbett in dem Zimmer lag, das sie sich mit ihrer Mutter in einem Südlondoner Frauenhaus teilte. Und ihre Hochzeit würde in jeder Beziehung perfekt sein. Für Fehler gab es keinen Platz. Sie hatte genügend gescheiterte Ehen gesehen. Wenn jede Familie neun Leben hatte, so hatte ihre Familie diese schon längst aufgebraucht. Nicci war zu der Überzeugung gelangt, dass man nur einen Versuch hatte. Sie würde diese Hochzeit perfekt gestalten, inklusive dem Kleid. Das Kleid war ungeheuer wichtig. Selbst wenn es das Gehalt von sechs Monaten verschluckte. Und darin waren schon die Sonderkonditionen und Nachlässe enthalten, die sie netterweise erhalten hatte.
»Was sagt David dazu?« Jo stellte sich hinter Nicci vor den Spiegel.
»David? Er hat es natürlich noch nicht gesehen!«, erwiderte Nicci entschieden. »Und das wird er auch nicht. Das bringt Unglück. Und meine Hochzeit darf nur positiv bestrahlt sein.«
Wer hätte gedacht, dass sie sich als eine so perfektionistische Braut entpuppen würde? Wohl alle, überlegte Nicci. Im Grunde zog sie alles, was ihr am Herzen lag, mit militärischer Präzision durch. Und wenn ihr etwas nicht am Herzen lag? Nun, dafür rührte sie meist keinen Finger. Doch bei der Hochzeitsplanung gab es einiges, was sie zu überfordern drohte. Dinge wie die Gästeliste und die Sitzordnung.
David hatte eine riesige Verwandtschaft. Obwohl er behauptete, die meisten nicht zu kennen, hatten seine Eltern jeden Morrison der westlichen Hemisphäre eingeladen. Wohingegen ihre Seite in der Kirche verdächtig leer sein würde.
Stöhnend rieb sich Nicci die Augen, bis hinter ihren Lidern helle Lichter aufzuckten. Der postkartengroße Tisch, der in die winzige Küche ihrer Wohnung gequetscht war, verschwand förmlich unter den verworfenen DIN- A 4-Papierbögen. Auf den meisten stand nur ein Name. Auf manchen halb fertige Sätze, die wieder durchgestrichen worden waren. Auf dem zuletzt beschriebenen Blatt befanden sich nur zwei Wörter.
»Liebe Mum …«
»Was tust du da, Liebste?«, fragte David, der hinter sie getreten war und ihre Schultern massierte. Falls er bemerkt haben sollte, wie sie den letzten Papierbogen in der Faust zerknüllte, so äußerte er sich dazu nicht. »Kann ich dir irgendwie helfen?«
Sei einfach nur da, dachte Nicci. Dein bloßes Dasein hilft mir mehr, als du ahnst. Doch sie sprach es nicht aus, sondern sagte nur: »Nein, Schatz. Alles erledigt. Oder so gut wie.«
Abgesehen von der Gästeliste war jedes Detail organisiert. Davids Eltern hatten sich an jeder Blume, jedem Kanapee und jeder Champagnerflöte mehr als nur großzügig beteiligt. Nicci wusste, wie viel David und sie ihnen verdankten, nicht nur in finanzieller Hinsicht. Sie war es nicht gewöhnt, bei jemandem in der Schuld zu stehen – vor allem nicht emotional –, und es war
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