Die besten Freunde meines Lebens - Roman
ein Lächeln um ihre Lippen. »Ich habe mich schon gefragt, wo sie ist.«
Verstohlen beobachtete Lynda den Mann neben ihr. Es drängte sie, ihm zu sagen, er möge doch bitte aufhören, die Haut um seinen Daumennagel abzubeißen. Er wirkte noch etwas unfertig. Sicher, was Alter und Verantwortung anbelangte, war er ein erwachsener Mann, aber er hatte etwas Jungenhaftes an sich, etwas Sanftes. In seinen Augen stand tiefer Kummer, aber dennoch sah man ihm an, dass sein Le ben bis zum Tod seiner jungen Frau nicht allzu hart gewesen war. Es war kein Wunder, dass Nicci ihn geliebt hatte. Lynda durchfuhr ein Gefühl von Stolz. Stolz darüber, dass sie trotz ihres Versagens als Mutter eine Frau hervorgebracht hatte, die von einem Mann wie diesem geliebt werden konnte.
Einem guten Mann.
David fing ihren Blick auf, und sie wandte sich ab, machte sich innerlich auf das gefasst, was als Nächstes kommen würde.
»Ich möchte etwas mit Ihnen besprechen«, begann er. »Aber vorher habe ich noch ein paar Fragen.«
»Gut«, sagte Lynda. »Fragen Sie.«
»Warum jetzt? Sie hatten jahrelang Zeit, um mit Nicci in Kontakt zu treten, und soweit ich weiß – und bekanntermaßen ist mein Wissen diesbezüglich begrenzt –, haben Sie es nicht ein Mal versucht. Warum also jetzt?«
Lynda schloss die Augen. Könnte sie die Uhr doch nur zurückdrehen … Wie oft war ihr dieser sinnlose Gedanke in den letzten zwanzig Jahren durch den Kopf gegangen? In den letzten sechs Monaten?
»Zunächst einmal – ich habe es versucht. Gleich zu Anfang. Ich habe ihr drei Briefe geschickt. Die ersten beiden hat sie ignoriert, auf den dritten hat sie mit ein paar kurzen, nicht allzu freundlichen Zeilen geantwortet, in denen sie mir unmissverständlich mitteilte, wie sie über mich denkt. Sie schrieb, solange ich mit ihm zusammen sei, wolle sie nichts mit mir zu tun haben.«
»Und trotzdem sind Sie bei ihm geblieben?«
Lynda wich seinem Blick aus. Sie musste ihn nicht ansehen, wusste auch so, was er dachte. Sie dachte das auch. »Das habe ich Ihnen doch erzählt«, sagte sie. Sie hoffte, der Rest des Satzes, Thema beendet, war für ihn hörbar.
»Brian ist vor drei Jahren gestorben«, fuhr sie fort. »Er hatte ebenfalls Krebs. Lungenkrebs.« Betont blickte sie auf die zerknitterte Marlboroschachtel, die David auf das Armaturenbrett geworfen hatte. »Sobald ich mich wieder einigermaßen gefasst hatte, schickte ich Nicci einen Brief an die Adresse von Safe Shelters, doch die Leute dort sagten, sie hätten ihre gegenwärtige Adresse nicht.«
»Wie kann das sein?« David umklammerte das Lenkrad so fest, dass seine Knöchel weiß hervorstachen. »Herrgott, sie hat jeden Monat Geld dorthin überwiesen!«
»Ich weiß«, sagte Lynda ruhig. »Darüber habe ich auch nachgedacht. Mich gefragt, ob Nicci den Leuten gesagt hatte, sie wolle keinen Kontakt mit mir haben. Doch wie ich aus Erfahrung weiß, ist das Leben selten so kompliziert, wie wir meinen. Ich glaube, sie haben einfach keinen Zusammenhang zwischen Nicola Webster und Nicci Morrison hergestellt. Wie auch? Es war zwanzig Jahre her. Sie haben genug Arbeit mit jenen Leuten, die gegenwärtig ihrer Hilfe bedürfen.«
Lynda wusste, es gab auch eine andere Möglichkeit: dass die Einrichtung den Zusammenhang hergestellt hatte, aber von Nicci um Stillschweigen gebeten worden war. Oder noch schlimmer, dass sie die Briefe an Nicci weitergeleitet und Nicci sie weggeworfen hatte … Diese Vorstellung war so schmerzhaft, dass Lynda sie rasch verdrängte.
Einige Sekunden war nur das leise Trommeln von Davids Fingern auf dem Lenkrad zu hören. Ein-, zweimal streckte er die Hand nach der Zigarettenschachtel aus, schien sich dann aber zu besinnen und zog die Hand wieder zurück. Lynda starrte auf ihre Hände. Auf die Altersflecken, die sich auf der pergamentenen Haut ausbreiteten, die Rillen, die sich in ihre Knöchel eingruben.
Und sie wartete.
»Okay«, sagte er. »Sie können die Mädchen sehen. Aber«, Einhalt gebietend hob er die Hand, um jeden Einwurf abzu schmettern, »vorher sollten Sie noch etwas wissen. Erstens, es ist einzig und allein meine Entscheidung. Zweitens, ich glaube nicht, dass Nicci das gewollt hätte. Obwohl ich es natürlich nicht mit hundertprozentiger Sicherheit sagen kann. Wie auch immer, ich kann damit leben. Muss damit leben. Niccis Freundinnen finden meine Entscheidung nicht richtig und sind nicht glücklich darüber. Aber das lässt sich nicht ändern. Auch damit kann ich
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