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Die Bestie im Menschen

Die Bestie im Menschen

Titel: Die Bestie im Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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fürchterlich von der Kälte zu leiden.
    Bei der Ankunft in Barentin näherte sich der Bahnhofsvorsteher, Herr Bessière, aus eigenem Antriebe der Locomotive, um Jacques mitzutheilen, daß man von la Croix-de-Maufras her mächtige Schneemassen melde.
    »Ich glaube, Sie werden noch passiren können,« setzte er hinzu, »aber Sie werden Arbeit haben.«
    »Zum Donnerwetter!« legte da der junge Mann los,»habe ich es nicht schon in Beuzeville gesagt! Was hätte das geschadet, wenn der Vorspann verdoppelt worden wäre? … Nun sitzen wir hübsch in der Patsche!«
    Der Zugführer kroch aus seinem Gepäckwagen und gab seinem Aerger ebenfalls Ausdruck. Er war fast erstarrt in seiner Wachtkoje, erklärte er, nicht im Stande zu sein, ein Signal an einer Telegraphenstange zu erkennen. Eine wahre Fahrt im Dunkel trotz aller dieser Helle!
    »Sie sind also gewarnt,« schloß Herr Bessière.
    Die Reisenden wunderten sich bereits über diesen verlängerten Aufenthalt auf der eingeschneiten Station, auf welcher man nicht einmal einen einzigen Ruf eines Beamten, noch ein Zuschlagen von Thüren hörte. Einige Scheiben wurden heruntergelassen und Köpfe herausgesteckt, die einer sehr starkleibigen Dame und zweier reizender Blondköpfe, jedenfalls ihre Töchter und Engländerinnen; weiterhin der einer sehr hübschen, jungen brünetten Frau, die ihr viel älterer Gatte mit Gewalt zurückziehen wollte. Zwei Männer, ein junger und ein alter, hatten sich mit dem halben Körper hinausgelehnt und sprachen von einem Waggon zum andern. Als Jacques rückwärts blickte, sah er auch, daß Séverine sich hinausgebeugt hatte und mit angstvoller Miene ihn ansah. O, wie besorgt mußte das liebe Geschöpf sein und wie blutete ihm das Herz, sie in solcher Gefahr zu wissen. Er würde sein ganzes Blut dafür gelassen haben, hätte er sie jetzt schon in Paris gesund und unverletzt abliefern können.
    »Fahren Sie nur los,« meinte der Bahnhofsvorsteher. »Wozu erst alle Welt beunruhigen?«
    Er selbst gab das Signal. Der Zugführer pfiff und sprang in den Gepäckwagen. Nachdem die Lison mit einem langen Klageschrei geantwortet, rollte sie davon.
    Jacques fühlte sofort, daß der Zustand des Dammes sich verändert hatte. Hier gab es keine Ebene, keinen bis in die Unendlichkeit aufgerollten dicken Schneeteppich mehr, durch den die Locomotive wie ein Dampfboot sich arbeiten konnte und eine Furche hinter sich zurückließ. Man kam jetzt in das wellige Gelände, zwischen die Berge und Thäler, die gleich einer hohl gehenden See bis Malaunay den Erdboden aufbeulten. Hier hatte sich der Schnee ganz verschiedenartig aufgehäuft, stellenweise waren die Geleise vollständig frei,stellenweise hatten mächtige Massen einzelne Uebergänge völlig verstopft. Der Wind, der die Höhen frei fegte, warf Alles in die Schluchten. Es mußten daher die Hindernisse Schritt für Schritt genommen werden, denn die kleinen freien Strecken führten stets zu vollkommenen Wällen. Es war jetzt ganz hell geworden, die wüste Landschaft mit ihren schmalen Schluchten und ihren jähen Abhängen glich unter ihrer Schneedecke der Trostlosigkeit eines mitten im Sturme eingefrorenen Oceans.
    Noch nie hatte Jacques die Kälte so empfunden wie gerade jetzt. Die tausende von feinen Krystallnädelchen erweckten in ihm das Gefühl, als blute sein Gesicht; in seinen erstarrten Händen hatte er gar kein Gefühl mehr, er zitterte, als er bemerkte, daß er den Hebel des Fahrtregulators garnicht mehr spüre. Als er den Ellbogen hob, um das Ventil der Dampfpfeife zu öffnen, meinte er, daß sein Arm wie abgestorben an seiner Schulter hängen müßte. Die fortwährenden Erschütterungen drohten ihm die Eingeweide zu zerreißen, und ob seine Füße ihn noch trügen, vermochte er wirklich nicht zu sagen. Mit der Kälte zugleich peinigte ihn eine unüberwindliche Müdigkeit. Sein Hirn war wie eingefroren, er fürchtete, ohnmächtig zu werden, nicht mehr zu wissen, ob er noch führte, denn schon ganz maschinal und zähneklappernd sah er den Zeiger des Manometers sinken. Alle die Geschichten bekannter Hallucinationen fuhren ihm durch den Kopf. Lag da vorn nicht ein abgehauener Baumstamm quer über den Schienen? Hatte er über jenem Gebüsch nicht eine rothe Fahne flattern sehen? Hörte man nicht trotz des betäubenden Lärms der Räder in jedem Augenblick Petarden platzen? Er konnte nichts Bestimmtes versichern, er wiederholte sich, daß er eigentlich anhalten müßte und konnte sich dennoch nicht dazu

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