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Die Bestie im Menschen

Die Bestie im Menschen

Titel: Die Bestie im Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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als er, wie auch von vornherein befürchtet, vom ersten Bahnwärtersignal ab konstatiren mußte, daß er die rothen, die Sperrung der Geleise ankündenden Laternenin der vorgeschriebenen Distanz nicht würde erkennen können. Deshalb fuhr er mit äußerster Vorsicht weiter, ohne indessen die Schnelligkeit vermindern zu können, denn der Wind setzte ihm einen mächtigen Widerstand entgegen und jede Verzögerung barg eine große Gefahr in sich.
    Bis zur Station Harfleur legte die Lison eine gute Fahrt zurück. Die Höhe der Schneedecke beunruhigte Jacques noch nicht, denn sie betrug höchstens sechzig Centimeter, weil der Sturm gewiß an einen Meter wegfegte. Ihm mußte vornehmlich daran gelegen sein, die Schnelligkeit inne zu halten; er wußte wohl, daß die Tüchtigkeit eines Maschinenführers, der seine Maschine wahrhaft lieb hat, darauf beruhte, eine regelmäßige Fahrt ohne jede Erschütterung unter einem möglichst hohen Druck zu machen. Sein einziger Fehler war die Mißachtung der Signale; er lernte es absolut nicht, sich zu mäßigen, weil er nach seiner Meinung die Lison jeden Augenblick zügeln zu können sich vermaß: er fuhr des Oefteren zu weit vor und zweimal schon hatte er acht Tage feiern müssen, weil er Prellböcke in Grund und Boden gefahren. Doch an jenem Morgen spürte er die drohende Gefahr und der Gedanke, daß er das theure Leben Séverine’s auf dem Gewissen hatte, verzehnfachte seine Willenskraft und hielt sie angesichts aller der auf der doppelten Flucht der Geleise bis nach Paris zu überwindenden Schwierigkeiten straff gespannt.
    Auf der Brücke aus Eisenblech zwischen Lokomotive und Tender, nicht achtend der fortwährenden Erschütterungen und Stöße, stand Jacques aufrecht und beugte sich trotz des Schnees nach rechts weit hinaus, um besser sehen zu können. Durch die überlaufenen Scheiben des Schutzdaches sah er nichts, deshalb bot er sein von tausenden seiner Nadeln gegeißeltes und von der Kälte wie von den Schnittwunden eines Rasirmessers geschundenes Gesicht dem Sturm dar. Von Zeit zu Zeit zog er den Kopf zurück, um Athem zu holen, er nahm auch die Brille ab und putzte die Gläser; dann aber kehrte er wieder auf seinen Beobachtungsposten zurück und sah scharfen Auges nach etwaigen rothen Signalen aus; seine Sinne waren so absorbirt von dieser Thätigkeit, daß er wiederholt blutrothe Funken auf dem fahlen, vor ihm hin- und herwogenden Vorhange sprühen zu sehen glaubte.Plötzlich hatte er das dunkle Gefühl, daß sein Heizer verschwunden war. Eine kleine Laterne beleuchtete schwach den Wasserspiegel, damit der Lokomotivführer nicht durch ein grelleres Licht geblendet werden konnte. Auf dem Zifferblatt des Dichtigkeitsmessers, dessen Email ein eigenartiges Licht von sich gab, sah er die erzitternde blaue Nadel schnell sinken. Das Feuer ging aus. Der Heizer hatte sich, von Müdigkeit überwältigt, auf den Kohlenkasten ausgestreckt.
    »Verfluchter Söffel!« schrie Jacques wüthend und schüttelte ihn derb.
    Pecqueux raffte sich auf und entschuldigte sich mit unverständlichem Grunzen. Er hielt sich kaum aufrecht, aber die Macht der Gewohnheit trieb ihn wieder an sein Geschäft, er zerkleinerte die Kohlen mit dem Hammer und warf die Kohlen mit der Schippe regelrecht vertheilt über die Gluth; mit dem Besen fegte er den Schutt fort. Die Thür des Kessels blieb einen Augenblick offen und der rückwärts wie ein glühender Kometenschweif über den Zug flatternde Wiederschein des Feuers schien den Schnee in Brand zu stecken, während das Wasser in großen goldnen Tropfen durchsickerte.
    Hinter Harfleur begann die drei Meilen lange bis nach Saint-Romain reichende Steigung, die bedeutendste der ganzen Strecke. Der Locomotivführer machte sich sehr aufmerksam an das Manövriren; er erwartete bei der Auffahrt auf dieses, selbst bei schönem Wetter sehr rauhe Terrain einen starken Windstoß. Die Hand am Hebel des Fahrtregulators sah er die Telegraphenstangen an sich vorüberfliegen; er versuchte an ihnen sich über die Schnelligkeit auszufinden. Diese verminderte sich stark, die Lison ächzte unter dem Widerstand des mit wachsender Gewalt einherjagenden Schneesturmes. Mit der Fußspitze öffnete Jacques die Thür der Feuerung, der Heizer, halb im Schlaf, verstand und schürte das Feuer, um den Druck zu vermehren. Die Thür röthete sich jetzt und tauchte beider Beine in einen violetten Schimmer, doch fühlten sie in dem eisigen Luftstrome nicht die versengende Gluth. Auf einen Wink

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