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Die Bestie im Menschen

Die Bestie im Menschen

Titel: Die Bestie im Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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seines Vorgesetzten hob Pecqueux den Schaft des Aschkastens aus, um den Zug besser durchzulassen. Sofort stieg die Nadel des Manometers auf zehn Atmosphären, die Lison arbeitete mit ihrer ganzen Kraft. Da der Locomotivführer jedoch auch das Niveau des Wassersfallen sah, mußte er die kleine Kurbel des Injectors in Bewegung setzen, wodurch sich der Druck verminderte. Bald hob er sich jedoch wieder, die Maschine keuchte und spuckte wie ein mit Flankenhieben angetriebenes Pferd, dessen Glieder man krachen zu hören glaubt. Er schnauzte sie an, als sei sie eine gealterte und nicht mehr kräftige Frau, für die man nicht mehr die Zärtlichkeit von ehedem empfindet.
    »Diese faule Lise wird niemals hinaufkommen!« murmelte er hinter den dicht geschlossenen Zähnen, er, der unterwegs sonst nie sprach.
    Pecqueux sah ihn in seinem Halbschlaf erstaunt an. Was hatte er jetzt gegen die Lison. War sie nicht noch immer die brave, gehorsame Locomotive mit der gefügigen Schnellfüßigkeit, daß es ein Vergnügen war, sie in Bewegung zu setzen, und mit der guten Dampfanlage, daß sie von Paris bis Havre den zehnten Theil an Kohlen ersparte? Der Locomotive, die wie sie so vorzüglich montirt war, daß der Dampf wunderbar abschnitt, konnte man schon einige Unvollkommenheiten zu gute halten, ebenso wie man einer Wirthschafterin nicht zürnen wird, die sich gut führt und sparsam ist. Sie verbrauchte zweifellos zu viel Schmiere. Und wenn schon? Deshalb schmierte man sie eben und damit gut.
    »Sie wird nicht hinaufkommen, wenn man sie nicht schmiert,« wiederholte Jacques in diesem Augenblick fast außer Athem.
    Was er noch keine drei Male in seinem Leben gethan hatte, that er jetzt: er ergriff die Kanone mit Schmieröl, um die Locomotive während der Fahrt zu ölen. Er kletterte über den Steg und bestieg die Brüstung, um am Kessel entlang zu gehen. Das war ein überaus gefährliches Unterfangen: seine Füße glitten von dem schmalen, durch den Schnee schlüpfrig gewordenen eisernen Streifen ab, der Schnee blendete ihn und der Sturm drohte ihn wie einen Strohhalm davon zu wehen. Die Lison mit dem an ihrer Flanke kauernden Manne verfolgte keuchend ihren Weg in der Dunkelheit und öffnete sich eine tiefe Bresche durch die ungeheure weiße Decke. Sie schüttelte ihn und trug ihn von dannen. Als er die vordere Querstange erreicht hatte, bückte er sich zu dem Schmierloch des rechtsseitigen Cylinders nieder; mit der einen Hand hielt er sich an der Brüstungsstange undunendliche Mühe kostete es ihn, sein Werk zu vollenden. Denselben Weg mußte er wie ein schleichendes Insect auf der andern Seite noch einmal machen, um den linken Kolben zu schmieren, er kam völlig erschöpft und bleich zurück, er hatte den Tod vorüberstreifen gefühlt.
    »Verwünschte Schindmähre!« murmelte er.
    Von diesem ungewohnten Grimm über ihre Lison betroffen konnte sich Pecqueux nicht enthalten, seiner Gewohnheit nach scherzend zu sagen:
    »Sie hätten mich das machen lassen sollen: das Schmieren der Damen verstehe ich ausgezeichnet.«
    Ein wenig munter geworden, stand er ebenfalls jetzt auf seinem Posten und überwachte die Geleise auf der linken Seite. Gewöhnlich konnte er besser sehen als sein Vorgesetzter. Aber in diesem Sturme war nichts zu erkennen, sie, denen doch jeder Kilometer dieser Strecke so vertraut war, vermochten kaum die Orte zu erkennen, die sie passirten: die Geleise verschwanden in dem Schnee, die Hecken, selbst die Häuser schienen verschlungen zu sein, eine einzige, endlose Ebene, ein Chaos von unbestimmter Weiße schien vor ihnen ausgebreitet, in das die Lison, wie vom Wahnsinn gepackt, auf’s Geradewohl hineinzugaloppiren schien. Noch nie hatten sich diese beiden Männer so brüderlich eng an einander gekettet gefühlt wie jetzt; auf dieser durch alle möglichen Gefahren dahinrollenden Locomotive fühlten sie sich einsamer und von aller Welt verlassener als in einem abgesperrten Zimmer. Und dazu diese erdrückende Verantwortlichkeit für die Menschenleben, die sie hinter sich herschleppten.
    Jacques, den Pecqueux’s Neckerei zuerst wie vor den Kopf stieß, lächelte schließlich und unterdrückte den Zorn, der ihn zu übermannen drohte. Jetzt war nicht der richtige Augenblick, um zu streiten. Der Schnee fiel stärker, der Vorhang am Horizont verdichtete sich. Man fuhr noch immer die Höhe hinauf, als plötzlich der Heizer seinerseits in der Ferne ein rothes Signal zu entdecken glaubte. Er machte seinen Vorgesetzten darauf

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