Die Bestie von Florenz
geschenkt, was schön und großartig ist, und damit haben sie genug getan. Jetzt können sie die Türen schließen, sich nach innen wenden und für niemanden mehr zu sprechen sein.
Als die Bestie von Florenz auftrat, begegneten die Florentiner den Morden mit Unglauben, Angst, Grauen und einer Art kranker Faszination. Sie wollten einfach nicht wahrhaben, dass ihre schöne, exquisite Stadt, der steingewordene Geist der Renaissance, die Wiege der abendländischen Zivilisation, ein solches Ungeheuer beherbergen sollte.
Vor allem konnten sie sich nicht mit dem Gedanken abfinden, dass der Mörder einer von ihnen sein könnte.
Kapitel 4
Der Abend des 22. Oktober 1981, ein Donnerstag, war verregnet und ungewöhnlich kühl für die Jahreszeit. Für den folgenden Tag war ein Generalstreik angesetzt – alle Geschäfte, Firmen und Schulen würden aus Protest gegen die Wirtschaftspolitik der Regierung geschlossen bleiben. Daher herrschte an diesem Abend Feierlaune. Stefano Baldi hatte seine Freundin Susanna Cambi zu Hause besucht, mit ihr und ihren Eltern zu Abend gegessen und sie ins Kino ausgeführt. Hinterher parkten sie im Campo delle Bartoline westlich von Florenz. Stefano kannte die Gegend sehr gut, denn er war in der Nähe aufgewachsen und hatte als Kind auf den Feldern gespielt.
Tagsüber wurden die »Bartoline« vor allem von Rentnern besucht, die hier kleine Gemüsegärten anlegten, die frische Luft genossen und sich die Zeit mit Klatsch und Tratsch vertrieben. Nachts herrschte ein ständiges Kommen und Gehen von jungen Pärchen auf der Suche nach ein wenig Ungestörtheit. Und natürlich waren dort auch Spanner unterwegs.
Inmitten der Felder endete ein Weg zwischen Weingärten. Dort parkten Stefano und Susanna. Vor ihnen erhoben sich die gewaltigen, dunklen Höhenzüge der Calvana, hinter ihnen war das Rauschen des Verkehrs auf der Autostrada zu hören. In dieser Nacht waren die Sterne und die schmale Mondsichel hinter dichten Wolken verborgen, die alles in schwere Dunkelheit tauchten.
Um elf Uhr am nächsten Vormittag entdeckte ein älteres Ehepaar, das seinen Gemüsegarten gießen wollte, das schreckliche Verbrechen. Der schwarze VW Golf blockierte den Feldweg, die Fahrertür war geschlossen, das Fenster gesprungen, aber nicht herausgefallen, die Beifahrertür weit offen – ganz genau wie bei den ersten beiden Doppelmorden.
Spezi traf kurz nach der Polizei am Schauplatz ein. Wieder gaben sich Polizei und Carabinieri keine Mühe, den Tatort zu sichern oder auch nur mit Band abzusperren. Alle liefen durcheinander und machten schlechte Witze – Journalisten, Polizisten, Leute von der Staatsanwaltschaft und der Gerichtsmedizin –, Scherze ohne jeden Humor, ein nutzloser Versuch, das Grauen der Szene zu verdrängen.
Kurz nach seiner Ankunft entdeckte Spezi einen Bekannten, einen Colonnello der Carabinieri, der in einer schicken grauen Lederjacke, die gegen die herbstliche Kühle bis zum Hals zugeknöpft war, eine amerikanische Zigarette nach der anderen rauchte. Der Offizier hielt einen Stein in der Hand, den er zwanzig Meter vom Tatort entfernt gefunden hatte. Er hatte die Form einer abgeschnittenen Pyramide, maß etwa sieben Zentimeter Seitenlänge und bestand aus Granit. Spezi erkannte ihn als traditionellen Türstopper, wie man ihn oft in alten toskanischen Landhäusern fand. Während des heißen Sommers wurden diese Steine benutzt, um die Türen im Haus offen zu halten, damit die Luft zirkulieren konnte.
Der Colonnello drehte den Stein in den Händen hin und her und trat auf Spezi zu. »Dieser Türstopper ist der einzige Gegenstand von möglicher Bedeutung, den ich am Tatort finden konnte. Ich nehme ihn als Beweismittel mit, denn mehr habe ich nicht. Vielleicht hat der Mörder ihn benutzt, um die Scheibe einzuschlagen.«
Zwanzig Jahre später sollte dieser banale Türstopper, zufällig in einem Feld aufgelesen, im Mittelpunkt einer neuen und bizarren Ermittlung stehen.
»Sonst nichts, Colonnello?«, fragte Spezi. »Keine Spuren? Der Boden ist nass und ganz weich.«
»Wir haben den Abdruck eines Gummistiefels gefunden, eines Reitstiefels, auf dem Boden an der Reihe Weinreben, die senkrecht zum Weg verläuft, direkt neben dem Golf. Wir haben natürlich einen Abguss davon gemacht. Aber Sie wissen ebenso gut wie ich, dass jeder beliebige Mensch diesen Stiefelabdruck hinterlassen haben kann … genau wie diesen Stein.«
Spezi erinnerte sich daran, dass es seine Pflicht als Journalist war, selbst
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