Die Bestie von Florenz
wackeln. Sie kleidete sich wie eine femme fatale. Einmal ging sie zu weit, jedenfalls für Francescos Geschmack – er packte sie beim Haar, schleifte sie hinaus auf die Straße, riss ihr das anstößige Kleid vom Leib und ließ sie inmitten einer gaffenden Menschenmenge zurück, in nichts als Höschen und Strümpfen.
Anfang August 1968 trat ein neuer Liebhaber auf den Plan: Antonio Lo Bianco, ein Maurer aus Sizilien, groß, muskelbepackt und mit schwarzem Haar. Auch er war verheiratet, aber das hinderte ihn nicht daran, Francesco Konkurrenz zu machen. »Barbara?«, soll er angeblich laut verkündet haben. »Die kriege ich in einer Woche ins Bett.« Was ihm auch gelang.
Nun hatten sowohl Salvatore als auch Francesco Grund, sich gedemütigt zu fühlen und wütend zu werden. Obendrein hatte Barbara Stefano gerade erst 600 000 Lire gestohlen, die er nach dem Motorradunfall von der Versicherung erhalten hatte. Die Clans Vinci und Mele fürchteten, sie werde das Geld Lo Bianco geben. Und beschlossen, es sich zurückzuholen.
In der Geschichte von Barbara Locci war dies das letzte Kapitel.
Das Ende kam am 21. August 1968. Eine sorgfältige Rekonstruktion der Ereignisse enthüllte Jahre später, was geschehen war. Barbara ging mit ihrem neuen Liebhaber Antonio Lo Bianco ins Kino, wo sie sich einen japanischen Horrorfilm ansahen. Sie nahm ihren Sohn Natalino mit, damals sechs Jahre alt. Danach fuhren die drei in Lo Biancos weißem Alfa Romeo davon. Der Wagen verließ die Stadt und bog auf einen schmalen Feldweg ein, der an einem Friedhof vorbeiführte. Sie fuhren noch etwa hundert Meter weiter und hielten neben einem Schilfgürtel an einer Stelle, die sie öfter aufsuchten.
Der Schütze und seine Komplizen hatten sich schon im Schilf versteckt. Sie warteten, bis Barbara und Lo Bianco angefangen hatten, sich zu lieben. Sie saß dabei auf seinem Schoß. Das linke Heckfenster des Wagens war offen – es war eine warme Nacht –, und der Schütze näherte sich lautlos dem Wagen, schob die Hand mit der 22er Beretta durch das offene Fenster und zielte. Die Waffe befand sich dabei wenige Handbreit über dem Kopf von Natalino, der auf dem Rücksitz schlief. Aus nächster Nähe – die Opfer trugen deutliche Pulverschmauchspuren – gab er sieben Schüsse ab: vier auf ihn und drei auf sie. Jeder Schuss saß perfekt, traf lebenswichtige Organe, und die beiden waren auf der Stelle tot. Natalino erwachte beim ersten Schuss und sah direkt vor seinen Augen die grellen gelben Lichtblitze.
Im Magazin der Waffe war noch eine Patrone. Der Schütze reichte sie Stefano Mele, der die Waffe nahm, sie mit zitternder Hand auf die Leiche seiner Frau richtete und den Abzug betätigte. Der Schuss, auch aus nächster Nähe, ging daneben und traf die Frau nur in den Arm. Das spielte aber keine Rolle mehr – sie war tot, und der Schuss hatte seinen Zweck erfüllt: Er hatte Schmauchspuren an Stefanos Hand hinterlassen, die auf einem Paraffin-Handschuh, wie man ihn damals benutzte, deutlich erkennbar sein würden. Mele würde seinen Dummkopf für die anderen hinhalten. Jemand suchte im Handschuhfach vergeblich nach den fehlenden 600000 Lire. (Die Polizei fand sie später, anderswo im Auto versteckt.)
Dann blieb nur noch ein Problem, der kleine Natalino. Sie konnten ihn nicht bei seiner toten Mutter im Auto zurücklassen. Nach dem Mord sah er die Pistole in der Hand seines Vaters und schrie: »Die Waffe hat Mami getötet!« Mele ließ sie fallen, holte seinen Sohn aus dem Auto, setzte ihn sich auf die Schultern und ging mit ihm davon. Er sang ein Lied, um das Kind zu beruhigen. Zweieinhalb Kilometer weiter stellte Stefano ihn vor einer fremden Haustür ab, klingelte und verschwand. Als der Bewohner des Hauses sich aus dem Fenster lehnte, sah er einen völlig verängstigten kleinen Jungen im Schein der Lampe über der Haustür. »Mama und der Onkel sind tot, im Auto«, heulte der kleine Junge mit hoher, zitternder Stimme.
Kapitel 10
Schon nach dem Doppelmord von 1968 kamen bei den Ermittlungen viele Hinweise darauf zutage, dass eine Gruppe von Männern die Morde begangen hatte – Hinweise, die ignoriert oder missachtet wurden.
Damals hatte die Polizei den sechsjährigen Natalino, den einzigen Zeugen des Verbrechens, eingehend befragt. Seine Geschichte war wirr. Sein Vater war da gewesen. Einmal sagte er während der Befragung: »Ich habe Salvatore im Schilf gesehen.« Doch er verbesserte sich rasch und erklärte, es sei nicht Salvatore, sondern
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