Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Bestie von Florenz

Die Bestie von Florenz

Titel: Die Bestie von Florenz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Douglas & Spezi Preston , Mario Spezi
Vom Netzwerk:
ihrer Gemeinschaft und nahmen die heimatlichen Gebiete stets von ihren Raubzügen aus. Die Sarden betrachteten den Banditen als Menschen, der tapfer seine Rechte und die Ehre der Dorfgemeinschaft gegen den ausländischen Unterdrücker verteidigte, und brachten ihm eine beinahe mythische Verehrung entgegen. Er wurde für sie zu einem romantisch verklärten, mutigen Helden.
    In diese von Sippen und Clanzugehörigkeit geprägte Umgebung also tauchten die Ermittler ein, als sie den Windungen der Sardinien-Spur folgten. Sie eröffneten einen Blick auf eine uralte Kultur, neben der das sizilianische Konzept der omertà beinahe modern erschien.
    Das Dorf Villacidro war sogar für sardische Verhältnisse sehr abgelegen. Trotz seiner Armut besaß es eine eigene Schönheit, und es lag auf einer Hochebene, die von einem Flüsschen namens Leni durchschnitten wurde und von schroffen Gipfeln umringt war. Wild streifte durch die Eichenwälder hinter dem Ort, und über den roten Granitklippen zogen majestätische Adler ihre Kreise. Der große Wasserfall von Sa Spendula außerhalb des Ortes, eine der berühmten Naturschönheiten von Sardinien, inspirierte den Dichter Gabriele D’Annunzio bei seinem Besuch auf der Insel 1882. Als er staunend die Wasserfälle betrachtete, die über große Felsen herabstürzten, bemerkte er einen Bewohner der Ebene:
Im üppig grünen Tal ein Hirte wacht
Gehüllt in Felle
Steht er auf schroffen Kalksteinfelsen
Wie ein bronzener Faun, still und stumm.
    Der Rest von Sardinien hingegen betrachtete Villacidro als verfluchtes Land, ein »Land der Schatten und Hexen«, wie es in einem alten Sprichwort hieß. Alle wussten, dass die Hexen oben in Villacidro, is cogas , sich in lange Kleider hüllten, die über den Boden schleiften, um darunter ihre Schwänze zu verstecken.

    Villacidro war die Heimat einer Familie namens Vinci.
    Es gab drei Vinci-Brüder. Der älteste, Giovanni, hatte eine seiner Schwestern vergewaltigt und wurde von der Gemeinschaft geächtet. Der jüngste, Francesco, galt als gewalttätig und war für sein Geschick mit dem Messer bekannt – er konnte ein Schaf in Rekordzeit töten, häuten und ausnehmen.
    Der mittlere Bruder hieß Salvatore. Er hatte ein Mädchen im Teenageralter geheiratet, Barbarina, die »kleine Barbara«, die ihm einen Sohn namens Antonio geschenkt hatte. Eines Nachts wurde Barbarina tot in ihrem Bett aufgefunden, und die Behörden kamen zu dem Schluss, dass es sich um Selbstmord durch Propangas aus dem Kocher handelte. Doch in Villacidro kursierten hässliche Gerüchte über den angeblichen »Selbstmord«. Es wurde geflüstert, dass jemand Antonio aus dem Bett seiner Mutter fortgeholt hatte, nachdem der Hahn an der Gasflasche aufgedreht worden war, und ihm damit das Leben gerettet – und seine Mutter dem Tod überlassen hatte. Die meisten Dorfbewohner glaubten, dass Salvatore sie ermordet hatte.
    Der Tod von Barbarina war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Das ganze Dorf tat sich gegen die Vinci-Brüder zusammen und vertrieb sie aus dem Ort. Eines schönen Tages im Jahr 1961 bestiegen sie eine Fähre aufs Festland und schlossen sich damit der großen Auswanderungswelle an. Sie landeten in der Toskana und begannen ein neues Leben.
    Auf der anderen Seite des Meeres erwartete sie eine weitere Barbara.

Kapitel 9
    Als die drei Vinci-Brüder im Hafen von Livorno ankamen, waren sie nicht wie die typischen Sarden, die in die Toskana einwanderten – die meisten verließen die Fähre fast starr vor Staunen, ihre Pappkoffer fest umklammert, kaum eine Lira in der Tasche und zum ersten Mal fort von ihrem kleinen Bergdorf. Die Vincis waren selbstsicher, überraschend weltklug und anpassungsfähig.
    Salvatore und Francesco waren die beiden Brüder, die in der Geschichte der Bestie von Florenz eine bedeutende Rolle spielen würden. Sie sahen sich äußerlich sehr ähnlich: Beide waren gedrungen und kräftig, gutaussehend, mit lockigem, rabenschwarzem Haar, und ihre Augen zwischen den tiefen Furchen ihrer derben, arroganten Gesichter ließen rastlos den Blick schweifen. Beide waren mit einer hohen Intelligenz gesegnet, die man bei jemandem, der aus so eng begrenzten Verhältnissen kam, nicht unbedingt erwartete. Doch trotz ihrer äußerlichen Ähnlichkeit hätten die beiden Brüder kaum verschiedener sein können. Salvatore war still, nachdenklich, introvertiert und schätzte vernünftige Unterhaltungen und Diskussionen, an denen er sich mit schmeichelnder,

Weitere Kostenlose Bücher