Die Bestie von Florenz
Jahrhundert, I Collazzi, hinter Zypressen und Schirmkiefern auf. Sie war im Besitz der Familie Marchi, der durch Heirat auch die Marchesa Frescobaldi angehörte. Als gute Freundin von Prinz Charles und Lady Diana hatte sie das königliche Paar kurz nach dessen Hochzeit hier zu Gast gehabt.
Jenseits dieser spektakulären Aussicht steigt die Via di Giogoli in qualvollen Kehren durch Dörfer und vorbei an kleinen Höfen wieder hinab und endet zwischen den monolithischen Bauten ärmerer Vorstädte von Florenz ganz unten im Tal. Bei Nacht werden diese grauen Vorstädte allerdings zu einem glitzernden Lichterteppich.
In der ganzen Toskana ließe sich schwerlich eine schönere Stelle finden.
Später – zu spät – würde die Stadt Florenz genau hier ein Schild aufstellen, auf dem auf Italienisch, Deutsch, Englisch und Französisch stand: »Parkverbot zwischen 19 und 7 Uhr. Camping aus Sicherheitsgründen verboten.« An jenem Abend, am 10. September 1983, hatte da kein Schild gestanden, und jemand hatte campiert.
Als Spezi und Torrini dort ankamen, fanden sie die volle Besetzung der Bestien-Ermittlungen bereits versammelt. Staatsanwältin Silvia Della Monica war da, mit dem Oberstaatsanwalt Piero Luigi Vigna, dessen sonst so gewinnendes Gesicht derart eingesunken und grau aussah, als sei es in sich zusammengefallen. Der Gerichtsmediziner Mauro Maurri mit den blitzenden blauen Augen arbeitete an den beiden Leichen. Hauptkommissar Sandro Federico war ebenfalls anwesend und ging nervös auf und ab.
Ein Suchscheinwerfer, auf dem Dach eines Streifenwagens montiert, tauchte den Tatort in gespenstisches Licht und warf lange Schatten hinter die Gruppe von Menschen, die in einem Halbkreis um den himmelblauen VW-Bus mit deutschen Nummernschildern herumstanden. Das grelle Licht betonte noch die Hässlichkeit der Szene, die Kratzer an dem zerschrammten alten Campingbus, die Falten in den Gesichtern der Ermittler, die geschraubten Äste der Olivenbäume, die vor dem schwarzen Himmel aufragten. Links von dem Campingbus fiel die Wiese in die Dunkelheit ab, hin zu dem Grüppchen alter Häuser, wo ich zwanzig Jahre später eine Zeitlang mit meiner Familie wohnen sollte.
Als Spezi und Torrini ankamen, stand die linke Tür des VW offen, und von drinnen war gerade so der Soundtrack zu dem Film Blade Runner zu hören. Die Musik war den ganzen Tag lang ununterbrochen gelaufen, denn der Kassettenrecorder spielte das Band automatisch immer wieder ab. Kommissar Sandro Federico trat auf Spezi zu, öffnete die Hand und zeigte ihm zwei Patronenhülsen, Kaliber 22. Auf der Unterseite war mit bloßem Auge die unverwechselbare Markierung zu erkennen, die die Waffe der Bestie stets hinterließ.
Die Bestie hatte wieder zugeschlagen, die Anzahl ihrer Opfer war hiermit auf zehn gestiegen. Francesco Vinci saß noch im Gefängnis und konnte das Verbrechen nicht begangen haben.
»Weshalb diesmal zwei Männer?«, fragte Spezi.
»Werfen Sie mal einen Blick in den Campingbus«, entgegnete Federico mit einem Nicken in diese Richtung.
Spezi ging zu dem VW-Bus. Als er an der Seite entlangging, bemerkte er im schmalen oberen Teil der Seitenfenster, wo das Glas transparent war, mehrere Einschusslöcher. Wenn er hineinschauen wollte, musste er sich auf die Zehenspitzen stellen. Um vernünftig zielen zu können, musste der Mörder größer gewesen sein als Spezi, mindestens einen Meter fünfundsiebzig. Außerdem fielen ihm weitere Einschusslöcher in der Seitenwand des Busses auf.
Um die offene Tür des Campingmobils drängten sich mehrere Leute: Polizisten in Zivil, Carabinieri und Leute von der Spurensicherung. Sie hatten das taufeuchte Gras überall niedergetrampelt und damit eventuelle Spuren des Mörders vernichtet. Ein weiteres Beispiel, dachte Spezi, für einen versauten Tatort.
Noch ehe Spezi ins Wageninnere schaute, wurde sein Blick von etwas angezogen, das draußen auf dem Boden lag – herausgerissene Seiten und der Rest eines Hochglanz-Pornomagazins mit dem Titel Golden Gay .
Das Licht drang nur gedämpft nach drinnen. Die Vordersitze waren leer. Direkt dahinter lag der Leichnam eines jungen Mannes mit dünnem Schnurrbart und glasigen Augen ausgestreckt auf einer Doppelmatratze, die Füße in Richtung Wagenheck. Der zweite Junge befand sich ganz hinten im Wagen in der Ecke. Der Tote war zusammengekauert erstarrt, als wollte er sich so klein wie möglich machen. Er wirkte wie versteinert vor Angst, die Hände zu Fäusten geballt, das Gesicht
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