Die Bestie von Florenz
Mörder hatte einen der Männer durch das kleine Fenster erschossen, dann durch die Wände des VW-Busses gefeuert und so den zweiten Mann erschossen, der sich in die Ecke gekauert hatte. Anschließend war die Bestie in den Wagen eingedrungen, hatte weitere Schüsse auf die Opfer abgegeben und ihren Irrtum erkannt. In seiner Wut hatte der Täter nach einem Schwulenmagazin gegriffen, es zerrissen, die Fetzen draußen verstreut und dann den Tatort verlassen.
Oberstaatsanwalt Vigna äußerte seine Ansicht, das Verbrechen erscheine anomal, spontan, improvisiert – kurz, es sei nicht von der Bestie selbst begangen worden, sondern von jemandem, der Francesco Vincis Unschuld demonstrieren wollte. Die Ermittler hegten den Verdacht, dass Vincis Neffe Antonio den Doppelmord begangen hatte, um seinen geliebten Onkel aus dem Gefängnis zu holen. (Antonio war, wie Sie sich erinnern werden, als Baby auf Sardinien vor dem Gas gerettet worden.) Im Gegensatz zum Rest der Familie war er wohl auch groß genug, um durch den Streifen Klarglas am oberen Rand des Campingbus-Fensters zu schießen.
Ein Plan von brutaler Raffinesse wurde heimlich in die Tat umgesetzt. Das erste sichtbare Anzeichen trat zehn Tage nach den Giogoli-Morden in Erscheinung: Auf den hinteren Seiten der Tageszeitungen war in einer kleinen Meldung, die scheinbar mit dem Fall gar nichts zu tun hatte, zu lesen, dass Antonio Vinci, Neffe von Francesco Vinci, wegen unerlaubten Besitzes von Schusswaffen festgenommen worden sei. Antonio und Francesco standen sich sehr nahe und hatten viele zwielichtige Geschäfte und ungeklärte Abenteuer zusammen unternommen. Die Verhaftung Antonios war ein Zeichen dafür, dass die Ermittler der Sardinien-Spur nun umfassender nachgingen. Der zuständige Untersuchungsrichter Mario Rotella und eine der leitenden Staatsanwältinnen, Silvia Della Monica, waren überzeugt davon, dass sowohl Francesco als auch Antonio die Identität der Bestie von Florenz kannten. Ja, sie waren sicher, dass die gesamte sardische Sippe in das schreckliche Geheimnis eingeweiht war. Die Bestie war einer von ihnen, und die anderen wussten, wer es war.
Da nun beide Männer im Gefängnis Le Murate inhaftiert waren, wollte man sie gegeneinander ausspielen und vielleicht irgendwann brechen. Die Verdächtigen wurden strikt voneinander getrennt, und geschickt erdachte Gerüchte wurden im Gefängnis in Umlauf gebracht, die Verdacht schüren und die beiden gegeneinander aufbringen sollten. Ein ausgeklügeltes Programm von Befragungen, die auf die beiden Gefangenen abzielten, sollte ihnen den Eindruck vermitteln, der jeweils andere hätte geplaudert. Bei jedem ließ man »durchsickern«, der andere hätte schwere Anschuldigungen gegen ihn erhoben und er könne sich nur retten, indem er selbst die Wahrheit über den anderen sagte.
Das funktionierte nicht. Keiner von beiden redete. Eines Nachmittags im uralten Verhörzimmer von Le Murate hatte der Oberstaatsanwalt Piero Luigi Vigna schließlich genug. Er beschloss, Francesco Vinci so stark wie nur möglich unter Druck zu setzen. Vigna, gutaussehend, smart und kultiviert, mit dem Profil eines Falken, war im Lauf seiner Karriere Mafiabossen, Mördern, Entführern, Erpressern und großen Fischen im Drogengeschäft entgegengetreten. Aber dem kleinen Sarden war er nicht gewachsen.
Eine halbe Stunde lang setzte der Staatsanwalt Vinci zu. Mit messerscharfer Logik spann er ein Netz aus Indizien und Schlussfolgerungen, die Vincis Schuld bewiesen. Dann, ganz plötzlich, bediente er sich eines Mittels, das schnurstracks aus einem klischeehaften Hollywoodfilm stammen könnte – er beugte sich ruckartig vor, so dass sein Gesicht nur noch zwei Fingerbreit vom schwarzen Bart des Sarden entfernt war, und brüllte ihn an, dass dem Mann der Speichel ins Gesicht flog:
»Gestehen Sie, Vinci! Sie sind die Bestie!«
Francesco Vinci blieb völlig ruhig. Er lächelte, und seine kohlschwarzen Augen blitzten. Mit ruhiger, leiser Stimme entgegnete er scheinbar zusammenhanglos: »Bitte um Verzeihung, Herr Staatsanwalt, aber wenn Sie eine Antwort von mir wollen, dann sagen Sie mir erst, was das Ding da auf dem Tisch ist. Wenn Sie so freundlich wären.« Mit einer Hand zeigte er auf Vignas Zigarettenschachtel.
Der Staatsanwalt wollte Vincis Gedankengang folgen, ging darauf ein und sagte: »Offensichtlich eine Schachtel Zigaretten.«
»Entschuldigen Sie, aber ist sie nicht leer? «
Vigna stimmte zu, dass sie leer sei.
»Dann«, sagte der Sarde,
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