Die Bestie von Florenz
hinter einem Vorhang aus langem blondem Haar verborgen. In dem Haar klebte Blut, schwarz und geronnen.
»Sieht aus wie ein Mädchen, finden Sie nicht?«, bemerkte Sandro Federico und rüttelte Spezi aus seinem Staunen auf.
»Im ersten Moment sind wir diesem Irrtum auch aufgesessen. Aber das ist ein Mann. Anscheinend hat unser Freund denselben Fehler gemacht. Können Sie sich vorstellen, was in ihm vorgegangen sein muss, als er das gemerkt hat?«
Am Montag, den 12. September, kreischten die Schlagzeilen die Neuigkeit heraus:
HORROR IN FLORENZ
Die Bestie mordet wahllos weiter
Die beiden Opfer, Horst Meyer und Jens-Uwe Rüsch, beide vierundzwanzig Jahre alt, waren gemeinsam in Italien herumgereist und hatten ihren VW-Bus am 8. September an diesem schönen Fleckchen geparkt. Ihre beinahe nackten Leichen waren gegen sieben Uhr am Abend des 10. September entdeckt worden.
Inzwischen hatte Francesco Vinci dreizehn Monate im Gefängnis verbracht, und die Öffentlichkeit war davon überzeugt, dass er die Bestie von Florenz sei. Anscheinend hatte die Bestie selbst, wie bei Enzo Spalletti, erneut die Unschuld eines Verdächtigen bewiesen.
Die Bestie von Florenz machte nun international Schlagzeilen. Die Times in London widmete dem Fall einen eigenen Teil der Sonntagsausgabe. Fernsehteams reisten von weit her an, sogar aus Australien.
»Obwohl inzwischen zwölf Opfer zu beklagen sind, wissen wir immer noch nicht mehr, als dass die Bestie frei herumläuft und ihre Beretta Kaliber 22 jederzeit wieder töten könnte«, schrieb La Nazione .
Da die Bestie erneut zugeschlagen hatte, während Francesco Vinci im Gefängnis saß, schien seine Entlassung selbstverständlich. Doch die Tage vergingen, und Vinci blieb in Haft. Die Ermittler vermuteten, dass der jüngste Doppelmord »auf Bestellung« verübt worden sein könnte. Vielleicht, so ihre Überlegung, wollte jemand aus Vincis Umfeld damit demonstrieren, dass Vinci nicht der Mörder sein konnte. Das Verbrechen in Giogoli passte nicht ins Muster, es wirkte improvisiert, anders. Es erschien ihnen seltsam, dass die Bestie einen so schweren Fehler gemacht haben sollte, da sie davon ausgingen, dass der Täter sich die Zeit nahm, das Pärchen beim Sex zu beobachten, ehe er zuschlug. Und er hatte in einer Freitagnacht gemordet, nicht an einem Samstag wie sonst.
Ein neuer Untersuchungsrichter war kurz vor diesem jüngsten Verbrechen nach Florenz versetzt worden und nun für die Bestien-Ermittlungen zuständig. Sein Name war Mario Rotella. Er ängstigte die Bevölkerung mit einer seiner ersten öffentlichen Äußerungen, indem er sagte: »Wir haben Francesco Vinci nie als die sogenannte Bestie von Florenz identifiziert. Was die Verbrechen nach dem Doppelmord von neunzehnhundertachtundsechzig angeht, war und ist er nur ein Verdächtiger.« Und dann verursachte er mit einem Satz beinahe einen Skandal: »Er ist nicht der einzige derartige Verdächtige.«
Staatsanwältin Silvia Della Monica sorgte für noch mehr Verwirrung und Spekulationen, als sie erklärte: »Vinci ist nicht die Bestie. Aber unschuldig ist er auch nicht.«
Kapitel 13
Ein paar Tage nach den Morden in Giogoli fand bei der Staatsanwaltschaft ein angespanntes Gipfeltreffen statt, im ersten Stock eines barocken Palazzo an der Piazza San Firenze. (Der Palast ist eines der wenigen Gebäude in der Stadt, das aus dem 17. Jahrhundert stammt – von den Florentinern verächtlich als »Neubau« bezeichnet.) Man traf sich im kleinen Büro von Piero Luigi Vigna, und die Luft war so dick wie Nebel in der Maremma. Vigna hatte die Angewohnheit, seine Zigaretten in zwei Teile zu zerbrechen und dann hälftenweise zu rauchen, weil er sich einbildete, dadurch rauche er weniger. Silvia Della Monica war da – klein, zierlich und von ihrer eigenen Rauchwolke umgeben. Außerdem anwesend waren ein Colonnello der Carabinieri, der zwei Schachteln seiner Lieblingssorte Marlboro mitgebracht hatte, und Hauptkommissar Sandro Federico, der unablässig eine halb vertrocknete »Toscano«-Zigarre zwischen den Zähnen malträtierte. Ein Assistent der Staatsanwaltschaft qualmte eine Schachtel teeriger Gauloises nach der anderen. Der einzige Nichtraucher im Raum war Adolfo Izzo, der jedoch nur zu atmen brauchte, um ebenfalls zum Raucher zu werden.
Federico und der hochrangige Carabinieri-Offizier präsentierten eine Rekonstruktion des Doppelmords in Giogoli. Mit Hilfe von Diagrammen und Flowcharts zeichneten sie die Abfolge der Ereignisse nach – der
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