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Die Bestie von Florenz

Die Bestie von Florenz

Titel: Die Bestie von Florenz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Douglas & Spezi Preston , Mario Spezi
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Algebra-Stunde. Wir können nicht darauf warten, dass die Staatsanwaltschaft den Schleier des Geheimnisses über ihren richtigen Namen lüftet. Entweder sagen Sie uns sofort, wer Alpha, Beta, Gamma und Delta sind, dann rufen wir sie in den Saal und hören uns ihre Zeugenaussagen an. Ansonsten werden wir diese Störung ignorieren und gar nichts unternehmen.«
    Der Polizist weigerte sich, die Namen zu offenbaren. Ferri kochte vor Wut, denn er betrachtete die Angelegenheit als Beleidigung seines Gerichts. Er ließ den Beamten und seine Nachricht von neuen Zeugen unbeachtet. Dann erhob er sich gemeinsam mit seinen Richterkollegen und zog sich zurück, um über das Urteil zu beraten.
    Später kamen manche zu dem Schluss, dass Ferri in eine clevere Falle getappt war. Indem Giuttari die neuen Zeugen absichtlich auf so dreiste Art und Weise präsentiert hatte, hatte er Ferri dazu provoziert, die Anhörung zu verweigern – und damit die Grundlage für eine Revision von Ferris Urteil durch den obersten italienischen Gerichtshof gelegt.
    Es war jetzt elf Uhr vormittags. Um vier Uhr nachmittags hieß es überall, das Berufungsgericht werde gleich sein Urteil verkünden. In allen Bars in Italien wurde in den Fernsehern dasselbe Programm eingeschaltet, während sich die Pro-Pacciani- und Anti-Pacciani-Fraktionen stritten oder Wetten abgaben. Viele »I ♥ Pacciani«-T-Shirts wurden zu diesem Anlass wieder hervorgeholt und aufgebügelt.
    Der vorsitzende Richter Ferri stand auf und verkündete mit alterstrockener Stimme, dass Pacciani hiermit absolut und vorbehaltlos vom Vorwurf freigesprochen werde, die Bestie von Florenz zu sein.
    Der zittrige alte Bauer wurde freigelassen. Später grüßte er Gratulanten vom schäbigen Fenster seines Häuschens aus, flankiert von seinen Anwälten. Er weinte und segnete mit ausgebreiteten Armen die Menge, als sei er der Papst persönlich.
    Der öffentliche Prozess war vorüber, doch der Prozess der öffentlichen Meinungsbildung setzte sich fort. Giuttaris geschickt getimte Festnahme Vannis und sein Schachzug vor dem Berufungsgericht zeigten Wirkung. Pacciani war von einem Verbrechen reingewaschen worden, bei dem zwei Zeugen ihn mit eigenen Augen beobachtet hatten – seine Komplizen. Es gab einen öffentlichen Aufschrei. Pacciani war schuldig – es konnte nicht anders sein. Und dennoch hatte das Gericht ihn freigesprochen. Ferri geriet in die Kritik. Gewiss, sagten viele, müsse es irgendeine Möglichkeit geben, diese juristische Farce ungeschehen zu machen.
    Die gab es: Ferris Weigerung, die vier Zeugen anzuhören. Der italienische Kassationshof (der in etwa unserem Bundesgerichtshof entspricht) nahm sich den Fall vor, hob den Freispruch auf und ließ einen neuen Prozess zu.
    Giuttari trat schwungvoll in Aktion, ordnete die Beweise und bereitete neue Anklagen vor. Allerdings war Pacciani diesmal kein einsamer Serienmörder. Er hatte Komplizen: seine Picknick-Freunde.

Kapitel 28
    Spezi und die anderen Journalisten stürzten sich auf die Herausforderung, die vier »Algebra«-Zeugen zu identifizieren. Der Schleier des Geheimnisvollen ließ sich leicht zerreißen. Die Zeugen entpuppten sich als Ansammlung von minderbemittelten oder zwielichtigen Subjekten. Alpha war ein geistig zurückgebliebener Mann namens Pucci. Gamma war eine Prostituierte mit Namen Ghiribelli, Alkoholikerin im Endstadium, dafür bekannt, dass sie für das billigste Glas Wein zu haben war. Delta war ein Zuhälter namens Galli.
    Beta würde die größte Rolle spielen, da er gestanden hatte, Pacciani beim Mord an den französischen Touristen geholfen zu haben. Er hieß Giancarlo Lotti und kam aus demselben Dorf wie Vanni, San Casciano. Dort kannten ihn alle. Die Einwohner von San Casciano hatten ihm den rassistischen Spitznamen Katanga gegeben, den man grob mit »Neger« übersetzen könnte, obwohl Lotti weiß war. Er war sozusagen der klassische Dorfdepp, wie man ihn in der modernen Welt kaum noch findet – er lebte von der Wohltätigkeit des ganzen Dorfs, bekam von seinen Mitbürgern Essen, Kleidung und Unterkunft und unterhielt dafür alle mit seinen unfreiwillig komischen Possen. Lotti lungerte auf dem Marktplatz herum, grinste und grüßte alle Leute. Er war Zielscheibe von Streichen und Hohn der Schuljungen. Sie hetzten ihn oft durchs Dorf: »Katanga! Katanga! Lauf, schnell! Marsmenschen sind auf dem Fußballplatz gelandet!« Und Lotti lief stets freudig los. Er hielt sich in einem seligen Zustand ständiger Trunkenheit,

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