Die Bestie von Florenz
behaupte nicht, dass ich mir sicher wäre … Ich muss das gegen meinen Willen in Betracht ziehen, ja. Es ist quasi sicher …«
»Quasi sicher?«
»Tja, ja, weil ich angesichts der Tatsachen keine andere Erklärung dafür finden kann … Als Perugini dann geschrieben hat, er hätte diesen Schimmer gesehen, da war ich entsetzt. Ich sagte zu ihm: ›Hauptkommissar, Sie haben mich grob missachtet. Wenn ich jetzt hingehe und Ihnen widerspreche, bin ich am Arsch.‹ Ich meine, wem würden die Richter denn glauben? Einem kleinen Unteroffizier oder einem Hauptkommissar? Ab einem gewissen Punkt bin ich gezwungen, seine Story zu bestätigen.«
Spezi fühlte sich wie bei Dreharbeiten mit einem Oscar-Gewinner, so hervorragend war die Leistung vor der Kamera, und der neapolitanische Akzent Minolitis verlieh dem Ganzen noch mehr Würze. Der Journalist stellte mit einem Blick auf die Uhr fest, dass ihm nur noch fünfzehn Minuten Aufzeichnungszeit blieben. Er musste den Mann drängen. »Arturo, haben sie die Patrone dorthin gelegt?«
Minoliti litt sichtlich. »Ich kann einfach nicht glauben, dass meine Kollegen, meine Freunde …«
Spezi durfte keine Zeit mehr verlieren. »Okay, ich verstehe. Aber wenn Sie einen Moment lang vergessen könnten, dass es um Kollegen geht, die Sie schon lange kennen, würden Sie allein anhand der Fakten sagen, dass diese Patrone Pacciani untergeschoben wurde?«
Minoliti wurde steinhart. »Nach allen Regeln der Vernunft, ja. Ich muss behaupten, dass sie ihm untergeschoben wurde. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass gewisse Indizien nicht sauber sind: die Patrone, die Federführungsstange und der Lappen.« Minoliti fuhr leise fort, beinahe als spreche er mit sich selbst: »Ich stehe vor einer äußerst schwierigen Situation … Sie haben mein Telefon angezapft … Ich habe Angst … Ich habe wirklich Angst …«
Spezi versuchte herauszufinden, ob der Offizier noch jemandem davon erzählt hatte, der das bestätigen könnte. »Sie haben nie mit jemandem darüber gesprochen?«
»Doch, mit Canessa.« Paolo Canessa war einer der Staatsanwälte.
»Und was hat er gesagt?«
»Nichts.«
Ein paar Minuten später verabschiedete Minoliti sich an der Tür seiner Station von Spezi. »Mario«, sagte er, »vergessen Sie, was ich Ihnen erzählt habe. Ich musste etwas Dampf ablassen. Ich habe mit Ihnen gesprochen, weil ich Ihnen vertraue. Ihre Kollegen lasse ich immer durchsuchen, ehe sie die Wache betreten dürfen!«
Spezi kam sich vor wie ein Wurm, als er die Piazza überquerte und dann auf dem Bürgersteig weiterging. Seine linke Schulter streifte beinahe die Wände der Häuser, er hielt die Arme ganz steif. Den kalten Wind spürte er nicht mehr.
Mein Gott , dachte er, es hat funktioniert!
Er betrat das lokale Casa del Popolo, wo die Leute vom Fernsehsender bei einem Bier auf ihn warteten. Er ging zu ihrem Tisch hinüber und setzte sich, ohne ein Wort zu sagen. Er spürte ihre Blicke auf sich gerichtet. Immer noch sagte er kein Wort, und sie stellten ihm keine Fragen. Irgendwie hatten alle erkannt, dass die Aktion ein Erfolg gewesen war.
Später am Abend saßen sie beim Essen zusammen, nachdem sie sich die Aufnahme von Minoliti angesehen hatten, und erlaubten sich jetzt einen kleinen Freudentaumel. Das war der Knüller des Jahrhunderts. Spezi tat es leid, dass er den nichtsahnenden Maresciallo Minoliti praktisch in den Fleischwolf stopfen musste. Aber, so sagte er sich, selbst die Wahrheit verlangt ihre Opfer.
Am nächsten Tag brachte die italienische Nachrichtenagentur ANSA, die von den geheimen Aufnahmen gehört hatte, einen Bericht darüber. Sogleich riefen alle drei nationalen Fernsehsender an und wollten Spezi interviewen. Als es Zeit für die Abendnachrichten war, setzte Spezi sich mit der Fernbedienung in der Hand aufs Sofa und wartete gespannt auf die Berichterstattung über diese neueste Entwicklung.
Sie wurde mit keinem Wort erwähnt. Am nächsten Morgen war in den Zeitungen nichts davon zu finden, nicht eine einzige Zeile. RAI Tre, der öffentlich-rechtliche Fernsehsender, der die Aufnahmen von Minoliti arrangiert hatte, sagte den Beitrag ab.
Offensichtlich hatte jemand, der über einige Macht verfügte, den Bericht abgeschossen.
Kapitel 27
In Italien steht jemandem, der zu lebenslanger Haft verurteilt wird, automatisch eine Berufung beim Corte d’Assise d’Appello zu, mit einem neuen Staatsanwalt und einem frisch besetzten Richtertisch. 1996, zwei Jahre nach dem Urteil, kam Paccianis
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