Die Bestie von Florenz
indem er zwei Liter Wein pro Tag trank, an Feiertagen noch mehr.
Auf der Suche nach Lotti verbrachte Spezi einen langen Abend mit dem Wirt der Trattoria, in der Lotti jeden Abend umsonst zu essen bekam. Der Wirt unterhielt ihn mit lustigen Geschichten. Er erzählte Spezi, wie einer seiner Kellner – derselbe Mann, der jeden Abend dem Bedauernswerten mit den schlaffen Wangen und blutunterlaufenen Augen einen Teller ribollita vorsetzte – sich einmal als Frau verkleidet hatte. Mit zwei Servietten als Kopftuch und unters Hemd gestopften Lappen als Brüsten stolzierte der Kellner mit wiegenden Hüften vor Lotti herum und zwinkerte ihm lasziv zu. Lotti war hingerissen. »Sie« tat so, als nehme sie seinen Vorschlag an, sich am folgenden Abend in einem bestimmten Gebüsch zu treffen. Als Lotti am nächsten Abend in die Trattoria kam, prahlte er laut mit seiner bevorstehenden Eroberung und ließ es sich besonders gut schmecken. Dann trat der Wirt zu ihm und sagte, Lotti werde am Telefon verlangt. Lotti war erstaunt und erfreut, einen Anruf in einem Restaurant zu erhalten, wie ein Geschäftsmann. Großspurig stolzierte er zum Telefon, an dem in Wirklichkeit ein weiterer Kellner in der Küche hing, der sich nun als Vater der jungen Dame ausgab.
»Wenn du meine Tochter auch nur mit einem Finger anrührst«, brüllte der angebliche Vater, »schlage ich dir die hässliche Visage ein!«
»Was für eine Tochter?«, stammelte Lotti verängstigt und mit schlotternden Knien. »Ich schwöre, ich kenne keine Tochter, das müssen Sie mir glauben!«
Alle amüsierten sich prächtig darüber.
Nicht so lustig war die Geschichte, die Lotti und die anderen Algebra-Zeugen Giuttari erzählt hatten und die bald an die Presse durchsickerte.
Pucci behauptete, dass er und Lotti zehn Jahre zuvor auf dem Rückweg nach Florenz am Abend des 8. September 1985 gewesen seien. Das war der Sonntagabend, den die Ermittler als Zeitpunkt für den Mord an den französischen Touristen festgelegt hatten – der Abend, an dem Lorenzo Nesi Pacciani mit einem anderen Mann gesehen haben wollte. Pucci und Lotti hielten an der Scopeti-Lichtung an, um sich zu erleichtern.
»Ich erinnere mich gut daran«, sagte Pucci aus, »dass da ein helles Auto ein paar Meter vor einem Zelt stand. Soweit wir sehen konnten, saßen zwei Männer in dem Auto. Sie sind ausgestiegen und haben uns angeschrien und so wild herumgefuchtelt, dass wir wieder gegangen sind. Die beiden haben gedroht, uns umzubringen, wenn wir nicht sofort verschwinden. ›Was müsst ihr hier auftauchen und uns auffliegen lassen, schert euch zum Teufel, sonst bringen wir euch beide um!‹ Wir haben Angst bekommen und sind weggefahren.«
Pucci behauptete, er und Lotti seien über den Schauplatz des letzten Mordes gestolpert, als die Bestie gerade im Begriff war, zu töten. Lotti bestätigte die Geschichte und fügte hinzu, er habe die beiden Männer deutlich erkannt. Er nannte Pacciani und Vanni – Pacciani habe mit einer Pistole herumgefuchtelt und Vanni ein Messer in der Hand gehabt.
Lotti belastete Pacciani und Vanni auch, was den Doppelmord von Vicchio 1984 anging. Und dann erklärte Lotti, es sei kein Zufall gewesen, dass sie in jener Nacht an der Scopeti-Lichtung gehalten hatten, um zu pinkeln. Er habe von dem geplanten Verbrechen gewusst und dort angehalten, um dabei zu helfen. Ja, erklärte Lotti, er müsse endlich gestehen, er könne nicht länger schweigen – er sei selbst einer der Mörder! Er und Vanni seien die Komplizen der Bestie von Florenz.
Lottis Geständnis war für die Polizei äußerst wichtig. Sie kümmerte sich gut um ihren Hauptzeugen. Er wurde an einen geheimen Ort gebracht, der sich später als das Polizeipräsidium von Arezzo entpuppte, einem wunderschönen mittelalterlichen Städtchen südlich von Florenz. Nachdem Lotti viele Monate lang bei der Polizei gewohnt hatte, passte seine Geschichte, die mit zahlreichen Widersprüchen begonnen hatte, immer besser zu den Tatsachen, die die Polizei bereits festgestellt hatte. Doch Lotti konnte den Ermittlern keinen einzigen objektiven, verifizierbaren Beweis liefern, den sie nicht bereits gehabt hätten. Die erste Version von Lottis Geschichte, ehe er Monate in Arezzo verbracht hatte, passte nicht zu den Indizien, die am Tatort gesammelt worden waren. So schwor er beispielsweise, er habe gesehen, wie Vanni das Zelt aufgeschlitzt habe. Dann sei Pacciani durch den Riss in das Zelt eingedrungen. Kraveichvili sei wie der Blitz an Pacciani
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