Die Bestie
Chance.
Als er das Tor passierte, blieb er für einen kurzen Moment stehen, beugte sich vor, hob seine Arme hinter seinem Rücken hoch empor und hakte sie über einen vorstehenden Pfahl des Palisadenbaus. Mit seiner ganzen Körperkraft und der gesamten Stärke seiner Beinmuskeln warf er sich vorwärts.
Er hatte schon vorher festgestellt, daß das Seil alt war. Und jetzt riß es wie dickes, welkes Gras.
Und damit war er frei.
Noch immer etwas aus dem Gleichgewicht, wirbelte er herum. Dann schnellte er aufs Tor zu.
Es schlug vor seiner Nase zu, und ein metallisches Klicken ertönte, als das Vorhängeschloß zuschnappte.
Die Stimme des Großen Trottels kam von der anderen Seite. »Du bist ein verdammt schlauer Bursche, Pendrake. Zu schlau, als daß ich es darauf ankommen lassen würde. Ich werde nicht erst warten, bis du diese Maschine in Gang gebracht hast. Ich hole mir eine Büchse und werde dich in weniger als dreißig Minuten dort drinnen abknallen.«
Das Geräusch schwerer Fußtritte erklang, wurde schwächer, verschwand in der Ferne.
Es war heute wahrlich kein guter Tag, dachte Pendrake müde, weder für den Großen Trottel, noch für ihn.
Er hatte bereits gespürt, daß der Energiestrom zur Erde in etwas mehr als fünfzehn Minuten einsetzen würde. So ungern er ihn benützte, so blieb ihm offensichtlich keine andere Möglichkeit. Angespannt wartete er auf den Ablauf der Zeit.
Schmerzerfüllt dachte er: »Oh, Gott! Eleanore in seiner Hand!«
Und auch jetzt bot sich keine andere Möglichkeit, als zu fliehen.
Mit einem sinkenden Gefühl der Hoffnungslosigkeit dachte er dann. »Sie werden annehmen, daß der Große Trottel mich der Teufelsbestie vorgeworfen hat, und sich ihm völlig unterwerfen.«
Er malte sich Eleanores Kummer und Erniedrigung aus, und da dachte er: »Ich muß hinüberwechseln, Ausrüstung und Waffen holen und zurückkehren – alles innerhalb von acht Stunden.«
Damit wäre dem Schaden und den Demütigungen, die ihr der Große Trottel zufügen konnte, eine Grenze gesetzt.
Der Große Trottel könnte sogar vorläufig davon absehen, Eleanore etwas zuzufügen, aus Angst, daß Pendrake zurückkehren würde. Es war der einzige Hoffnungsfunke für ihre Sicherheit.
Kein Ausweg.
Als der Energiefluß einsetzte, ging Pendrake widerwillig zu der unsichtbaren Trennlinie im Innern der höhlenartigen Vertiefung, blieb stehen, spreizte die Beine, um einen festen Stand zu gewinnen und beugte sich dann vorwärts, Kopf und Schultern hindurchschiebend. Er beabsichtigte, sich zuerst einmal genau anzusehen, was auf der anderen Seite war.
Dunkelheit, nebelhaftes Nichts.
Pendrake zog sich aufs äußerste verblüfft zurück. Konnte es auf der Erde gerade Nacht sein? Zweifellos mochte dies der Fall sein. Doch waren irdische Nächte sehr selten so schwarz. Erneut beugte er sich vor.
Es war, als ob er seinen Kopf in einen Kohlensack gesteckt hätte. Absolut nichts war zu sehen.
Aber er fühlte sich kaum merklich schwindelig, als er sich erneut zurückzog.
Noch beängstigender war jedoch, daß die Zeit im Flug verstrich. Die Sekunden rasten vorbei, und er dachte, daß zehn Minuten eine jämmerlich kurze Zeitspanne darstellten, wenn er alle die Vorsichtsmaßregeln beachten wollte, die eigentlich angebracht waren.
Mit raschen Schritten ging er zur einen Wand der Vertiefung hinüber, stützte sich ab und schob dann vorsichtig sein rechtes Bein hindurch. Sein tastender Fuß fand nur leeren Raum.
Pendrake wich zurück, tat einen Schritt seitwärts und versuchte es noch einmal. Es war ein eigenartiges Erlebnis, sein Bein verschwinden zu sehen, aber noch beunruhigender war es, wiederum nichts als Leere anzutreffen.
Er schätzte, daß es alles in allem fünf Minuten dauerte, sich stückweise von der einen Seite der Maschine zur anderen vorzuarbeiten – und nicht ein einziges Mal während dieser Zeit berührte sein Fuß einen soliden Gegenstand auf der anderen Seite.
Kein Ausweg.
Pendrake dachte bestürzt: »Ist es möglich, daß ich das Wagnis eingehen muß, einfach hindurchzuspringen?«
Wenigstens eine Minute verstrich, während er in qualvoller Unentschlossenheit an der Zustandsschwelle der Maschine stand. Doch schließlich konnte es keinen Zweifel und kein Zaudern mehr geben.
Der Große Trottel mußte jeden Augenblick zurückkehren.
Er dachte zuversichtlich: »Ein Pfad befindet sich da. Alle waren sich darüber einig. Er läuft durch die Wildnis, in den Bergen, aber an dieser Stelle ist der Boden
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