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Die Bestien von Belfast

Die Bestien von Belfast

Titel: Die Bestien von Belfast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Millar
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verschwunden.
    »Cairns! Dreh dich um, du Schwein!«, brüllte Karl, der aufstand, obwohl sich seine Knie wie aus Gummi anfühlten.
    »Hm? Oh … Scheiße.« Cairns, der sich gewunden hatte wie ein Wurm, erstarrte plötzlich. Er riss den Mund auf. »Bitte … bitte … Kane … ich …«
    Karl schoss zweimal; die zweite Kugel traf Cairns im Hinterkopf, während die erste in seine Stirn eindrang. Er richtete die Waffe blitzschnell wieder auf Bulldog, als würde er damit rechnen, dass der sich auf ihn stürzte, dann aus demselben Grund wieder auf Cairns.
    Keiner der Männer bewegte sich.
    Karls Herz wummerte. Er konnte nicht mehr atmen. Die Luft half ihm nicht mehr. Er spürte, wie sein Herz anschwoll. Es würde platzen. Sein Gehirn stand in Flammen. Er wartete darauf, dass es schmelzen, dass er sterben würde.
    Karl konnte sich später nicht erinnern, wie lange er dastand und auf den Tod wartete, nur daran, dass er noch nie im Leben eine solche Stille erlebt hatte.
    Er stupste Bulldogs schlaffes Gesicht mit der Waffe an und sah da erst die kokosnussgroße Austrittswunde am Hinterkopf. Er überlegte kurz, ob er noch einmal auf Bulldog schießen sollte, als hätte er gerade eine Kreatur aus einem Albtraum besiegt, die sich nie und nimmer mit einem Kopfschuss allein ausschalten ließ.
    Dann eilte er zu Jenny und zerrte Cairns’ Leichnam von ihr herunter.
    »Jenny?« Er kniete nieder und tastete mit den Fingern hektisch nach einem Puls. Und fand ihn. Schwach. »Jenny. Alles wird gut. Ich rufe …«
    »Meine … Mutter … Sie müssen nach … meiner … Mutter sehen …« Jenny verstummte.
    Panisch rannte Karl zur Treppe und nahm zwei Stufen auf einmal.
Welches Zimmer? Wo? Scheiße! Mein Herz bleibt gleich stehen.
    Im zweiten Stock fand er schließlich ein offenes Zimmer, aus dem ein Lichtschein drang. Ihm graute davor, dort einzutreten.
    Völlig außer Atem betrat er es dann doch und erblickte eine schemenhafte Gestalt auf dem Bett, deren dünner, blasser Arm auf der Decke lag.
    Karls Atem ging flach und stoßweise. Plötzlich fügte sich alles zu einer lebendigen und überdeutlichen Erinnerung zusammen: der Fernseher, dessen Licht in den reglosen Augen seiner ermordeten Mutter flackerte; der Gestank des Todes, der ihm sauer im Mund lag; der Irre, der ihn hetzte, erwischte, der immer wieder auf ihn einstach und einfach liegen ließ, als er ihn für tot hielt.
    Tot. Tot. Tot.
    Er wusste, dass Jennys Mutter tot war, noch bevor er den reglosen Arm hob und nach einem Puls tastete. Blutige Federn klebten an ihrem Gesicht. Auf dem Boden lag ein ursprünglich weißes, jetzt rot gefärbtes Kissen. Vor seinem geistigen Auge sah er Bulldog und Cairns das Kissen auf das entstellte Gesicht der alten Frau drücken und ihr lautlos die Kugeln in den Kopf feuern. Er stellte sich vor, wie sie in der Dunkelheit leise lachten.
    Karl erschauerte. Während dieser Mord geschehen war, hatte er unten mit der Tochter dieser Frau gesessen und sich seine Wunde versorgen lassen. Er hätte doch etwas hören müssen – irgendwas? Er hätte niemals hierherkommen und den Tod und das Böse mitbringen dürfen.
Du hast nicht einmal mitbekommen, dass wir dir auf der Antrim Road gefolgt sind. Wie willst du je als sogenannter Privatermittler auf einen grünen Zweig kommen, wenn du nicht mal deinen eigenen Arsch schützen kannst? Ohne dich hätten wir Miss Perfect nie gefunden.
    Nie gefunden. Nie gefunden …
    Karl stolperte aus dem Zimmer, tapste den Flur entlang und suchte nach etwas, woran er sich festhalten konnte. Ihm war übel, als er wieder nach unten ging, in die Küche taumelte und halb damit rechnete, dass der unverwüstliche Bulldog und der hinterlistige Cairns grinsend auf ihn warten würden. Aber sie warteten nicht. Bulldogs Leichnam schien geschrumpft zu sein, Cairns’ glich einem Nichts.
    Karl kniete neben Jenny nieder und flüsterte ihr ins Ohr. »Jenny? Jenny …« Erst als er sich über sie beugte, sah er die Kritzelei auf dem Holzboden, neben ihrem blutigen Finger:
IF .
    Sie drückte seine Hand, grub die Fingernägel in seine Haut.
    »Was ist das, Jenny? Was wollen Sie mir sagen? Ist das eine Abkürzung? Was? Der Anführer?« Er versuchte, mit seinem übermüdeten Hirn zu denken. »Sagen Sie mir seinen Namen, Jenny. Jenny?«
    Sie regte sich nicht mehr.
    Karl ging zum Telefon und rief mit erstickter Stimme einen Krankenwagen. Die Adresse. Eine Schießerei. Mehr nicht. Es würde nichts bringen, wenn er mehr ins Detail ging.

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