Die Bestimmung
ihr erklang das Donnern von Hufen auf dem Parkett. Sie musste weiter laufen, irgendwo anders ein Versteck finden. Mit zwei schnellen Sätzen war sie durch die offene Tür des Anden-Trakts gesaust, bog durch die Kammer mit dem Inka-und Aztekengold und rannte einen langen Gang entlang, dessen Wände von zahllosen Vitrinen gesäumt waren. Hinter sich hörte sie wieder das Wummern der Hufe und nahm einen Schatten wahr, der mit ungelenken, schnellen Schritten durch die Anden fegte.
Für einen kurzen Moment erschrak sie, als sie in ihr Spiegelbild rannte, denn hier hatte man große Spiegel angebracht, die den Eindruck vermittelten, der Gang würde noch weiter gehen – bis man unvermutet vor sich selbst stand. Mit wackeligen Beinen huschte Nilah dann durch den schmalen Durchgang in das Restaurant des Museums.
Es war, als würden zwei Bäume miteinander kämpfen, und das taten sie auch. Der Blutbaum , einst gewachsen in einem heiligen Hain und dann zum Willen Sunabrus verbrannt. Hörig durch dessen verdorbenes Blut. Ihm gegenüber ein Baum, der hunderte Jahre seine Krone im Sonnenlicht gebadet hatte.
Lirans Bewegungen waren jetzt im wahrsten Sinne hölzern. Nicht nur das. Lirans Geist war zu einem kleinen Punkt geworden, der in seinem eigenen Körper schwebte. Er konnte durch seine eigenen Rippenbögen sehen, das pulsierende Herz, die Adern, seine Muskeln und Sehnen und zwischen all dem wirbelte die Magie, die die Druidin Enya in ihn gepflanzt hatte, in wilden Spiralen von durchdringendem, gleißendem Blau. Er sah und spürte, wie Dahi, die Wölfin, aus seiner Brust herausfuhr und zubiss, wie die Krallen der Eule in den Blutbaum schlugen und ganze Stücke herausrissen. Wie Akkosh seine mächtigen Äste gegen die eines anderen schmetterte. Sogar die beiden Elemente Wasser und Feuer konnte er sehen. Sie schlichen wie eine abwartende Meute durch seinen Körper, als suchten sie den richtigen Augenblick, um zuschlagen zu können, um ihre Anwesenheit endlich zu offenbaren.
Akkosh trieb seine Wurzeln gegen den Leib des Blutbaums und stieß ihn von sich, so dass dieser mit Wucht gegen eine der Vitrinen prallte, die unter seinem Gewicht zerbarst. Dann packte der Blutbaum zu und warf Liran mit dem Kopf voran gegen die Wand. Doch der Krieger spürte nichts, außer dem Schmerz seiner Sinne, die allesamt - außer Akkosh - mit einem Ruck zurückwichen. Dann sah er, wie der Blutbaum weit ausholte und wütend zuschlug. Liran wurde getroffen, erlebte den Raum, wie er an ihm vorbeischoss und zertrümmerte dabei vier weitere Vitrinen, die an seinem Rücken zersplitterten. Holzrahmen, zerfetzte Bilder und Skulpturen ergossen sich auf den Boden. Liran versuchte, sich nach einer Waffe umzusehen. Dies schrie er auch seinen magischen Sinnen geradezu in ihre Bäuche, doch sie hörten nicht oder wollten nicht hören. Stattdessen stand er auf, klopfte die Splitter von seiner Kleidung und sah, wie sich seine Arme zu riesigen Ästen verwandelten, deren Enden angriffslustig peitschten und den dunkelbraunen Holzboden zerfurchten.
Für einem Atemzug dachte er: Hier komme ich nie wieder lebend heraus!
Keine fünf Meter entfernt stand der Blutbaum und starrte ihn an. Gut zwei Meter fünfzig groß und schwarz wie die Nacht. Von den einstigen Flammen teilweise weiß gefärbt, die ihm wie Flecken und Schmuck zugleich den Körper entlangliefen. Der Kopf kantig und grob, die Arme breit und gewunden, als habe man mehrere dünne Äste zu einem dicken verdreht, sah er wirklich aus, als habe man mit einer Axt ein Wesen aus einem verbrannten Baumstumpf geschlagen.
Der Mund war verzerrt, schief und voller verschmorter Zacken. Er stieß bei jedem Atemzug feine Ascheflocken aus. Nacken und Schultern waren eins, wie verschmolzen. Zum ersten Mal hatte Liran das Gefühl, sich dieses Wesen ansehen zu können, ohne von ihm bedroht zu sein. Es wirkte, als habe man ihn geweckt, um sich etwas anzuschauen, einer Geschichte zu lauschen, aber nicht, als habe er bereits dagegen gekämpft. Dann kam der Blutbaum auf ihn zu, wie eine Walze aus verbranntem Holz.
Unten in den Räumen der Heizungsanlage stand ein Mann, öffnete ein Ventil, lächelte lauschend dem Zischen des Gases, das sich nun im ganzen Keller verbreiten konnte. Er war jung, doch nicht zu jung, um einer höheren Instanz sein Herz und seinen Leib zu opfern.
Im Kopf ging er nochmals die Positionen durch, an denen er die verschiedenen Zündmechanismen platziert hatte und nickte nachdenklich. Ja, er hatte
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