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Die Bestimmung

Die Bestimmung

Titel: Die Bestimmung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erik Kellen
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gewesen so lange aufs Meer zu starren. Alle ihre Gedanken und Nöte dort hinunterzuwerfen. Sie fühlte sich richtig befreit. Sie wollte sich gleich ein heißes Bad einlassen, um den kalten Wind aus den Knochen zu verbannen, einen kräftigen Happen essen und zur Abwechslung 'mal ganz früh ins Bett.
    Dann sah sie ihre PeTA-Baseballkappe auf dem Waldboden liegen und blieb erschrocken stehen. Sie sah sich um. Dort saß jemand auf einem großen Stein und schaute sie an. Er stand beinahe vorsichtig auf und kam auf sie zu. Die Arme angewinkelt, mit den Handflächen nach oben.
    Er war groß, schlank wie ein Läufer, mit breiten Schultern und trug Sachen, die Nilah so noch nicht gesehen hatte. Eine Art graugrüner Poncho, der ihm fast bis zu den Knien reichte und der mit einem breiten Gürtel umschlungen war. Eine braune Hose und graugrüne, offensichtlich mit Gras und Ruß gefärbte, hohe Lederstiefel. Geradezu ideal für diese Landschaft.
    Das bartlose Gesicht wirkte klug und hatte dabei einen beinahe jungenhaften Charme. Eine energische Nase, lässig geformte Lippen, aber über allem schwebte eine kaum fassbare Traurigkeit.
    Ihr Herz schlug schneller, aber sie konnte nicht mehr unterscheiden, ob es Angst oder Faszination war. Lange, nachtschwarze Haare umschlossen das anziehende Gesicht und etwas darin erkannte sie vage. Doch dann passierte etwas, das sie vollends staunen ließ.
    «Mein ... Name ist Liran. Ich bin hier, um Dich zu beschützen», sagte er in einem fehlerfreien Deutsch. Für einen Moment war sie zu verblüfft, um etwas zu erwidern. Ein Lachen entglitt ihr, weil sie zu erstaunt war.
    Es war so verrückt. War sie in irgendeines dieser Rollenspiele geraten? Ein paar zivilisationsmüde Freaks, die aus dem Alltag ausbrechen wollten und durchs Unterholz spazierten, als wäre es Mittelerde. Die gab es auch in Hamburg. Solche Leute nähten sich ihre eigenen Mittelalter-und Fantasygewänder, gaben sich urige Namen und verbrachten dann ihre Freizeit damit, eine Geschichte nachzuspielen. Nilah hatte sogar einmal mitten im Stadtpark eine Horde Kilts tragender junger Leute gesehen, die sich in Schlachtreihen aufgestellt hatten und mit Gummiwaffen übereinander hergefallen waren. Jeder der getroffen wurde, ließ sich zu Boden fallen und durfte erst nach bestimmten Regeln wieder aufstehen. Du liebe Güte, so etwas gab es hier auch? Nun, wenigstens passte die Umgebung hier wesentlich besser dazu.
    Ihr Verstand stimmte diesem neuen Lösungsmuster auf der Stelle zu, auch wenn dieser Typ hier verdammt echt aussah. Sie nahm ihre Kappe auf und ging ruhig weiter.
    «Ich will mit dieser Sache nichts zu tun haben! Du hast mir verfluchte Angst gemacht, und das ist nicht witzig.»
    Der Mann hörte ihr aufmerksam zu, und für einen Augenblick sah Nilah pure Verzweiflung darin aufblitzen.
    «Versteh doch», hauchte er jetzt in einem beschwörenden Tonfall. «Ich weiß nicht, in welcher Zeit ich bin.» Er blickte sich um und schien die Welt nicht mehr zu begreifen. «Als ich losgeschickt wurde, um diejenige zu beschützen, die ... ich verstehe es ja selbst nicht. Noch vor wenigen Tagen stand Cäsar mit seinen Truppen vor Alesia und nun ist alles anders ... ich ...»
    Oh, verdammt , dachte Nilah. Der Mann ist ja komplett durchgeknallt. Vielleicht sogar aus einer medizinischen Einrichtung geflohen oder Schlimmeres. Doch irgendetwas in ihrem Bauch wehrte sich gegen diese Vermutung und zwar immer heftiger.
    «Cäsar? Truppen vor Alesia?», rief sie. «Du hast sie ja nicht mehr alle! Wann die Schlacht von Alesia war, weiß ich nicht genau, aber Cäsar hat weit vor Christus gelebt. Der ist schon lange tot, das römische Imperium ist Schnee von vorvorgestern und Du solltest dringend zu einem Arzt gehen.»
    Von einem Moment zum anderen sah der Mann aus, als würde er genau das brauchen – einen Arzt. Kreidebleich stand er da. Seine Hände zitterten. Nilah wurde mulmig zumute.
    «Was ... was bedeutet vor Christus ?», fragte er so leise, dass sie ihn kaum verstand. Sie versuchte sein Alter zu schätzen, schaffte es aber nicht. Aber seine blauen Augen fielen ihr jetzt auf. Irgendwo kribbelte es in ihr.
    «Das bedeutet vor Christi Geburt. Als der geboren wurde, hat man das Zählwerk nachträglich auf Null gestellt, jedenfalls im Christentum. Die Moslems zählen anders. Aber seitdem sind über 2000 Jahre vergangen. Ist Dir nicht gut?»
    Der Mann hatte sich auf dem Felsen abstützen wollen, jetzt war er zu Boden gegangen und starrte sie an, als

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