Die Bestimmung
und Tränen strömten an seinen Wangen herunter. Es war kein Kuss aus Mitleid oder weil ihn jemand trösten wollte, das spürte er ganz genau. Es war ein Kuss, der sagte: Ich bin hier, ich bin für Dich da, wenn Du es willst. In dem Moment verliebte er sich vollends in die schöne Irin.
Doch dann kam alles ganz anders.
Er hatte sich gar nicht richtig verabschieden können, so sehr verstörte ihn das Handeln seiner Tochter. Aber wenigstens hatte er mit Morrin abgemacht, dass sie miteinander telefonieren würden.
Auf der Fahrt zum Flughafen nach Dublin hatte dann eine solch drückende und düstere Stimmung im Auto geherrscht, dass er ein paar Mal die Fäuste ballen musste, damit die Fragen nicht aus ihm herausplatzten. Aber Morrin hatte ihn beim Abschied am Flughafen kurz angesehen und ihr Blick hatte gesagt: Lass sie! Nicht jetzt!
Sie hatten sich darauf nur kurz die Hände gegeben, mitten im strömenden Regen, mit traurigen Augen. Sie wollten Nili nicht auch das noch zumuten.
Ab und zu riskierte er im Flugzeug einen verstohlenen Seitenblick. Daan stellte dabei fest, dass Nili seit zwanzig Minuten immer wieder denselben Artikel in der ‚ Irish Times‘ las. Den Kopf geneigt wie ein Raubvogel und mit Sonnenbrille, obwohl es draußen schon längst dunkel war, starrte sie unentwegt auf eine mehrspaltige Reportage über ein Unglück auf See. Trümmerteile entdeckt – Tragödie im Nordmeer? stand als Überschrift da, darunter ein Bild von auf dem Wasser treibenden Wrackteilen. Was seine Tochter daran nun so faszinierte, konnte er beim besten Willen nicht erraten. Aber er fragte auch nicht. Wenn sie schweigen wollte, gut, das konnte er auch – sogar noch besser. Er sah wieder aus dem kleinen Fenster, der Pilot teilte gerade über Lautsprecher mit, dass in Hamburg das Wetter genauso schlecht sei wie in Dublin und dass sie gleich landen würden. Daan seufzte tief: Home, sweet home!
Die gespannte Stimmung setzte sich im Taxi fort. Sie besserte sich auch nicht, als sie mit triefenden Klamotten die Haustür aufschlossen. Nilah ging schnurstracks nach oben und Daan in sein Arbeitszimmer, wo er sich trotz der nassen Sachen wie ein Verwundeter in den Sessel plumpsen ließ und den Seesack mit einem mauligen Tritt bedachte.
Das sonst gemeinsame Essen fiel wortlos aus. Von oben hörte Daan laute Musik. Irgendwann raffte er sich auf zu duschen, den Seesack in die Waschküche zu pfeffern und sich ein Glas von dem Whisky einzuschenken, den Morrin ihm als Erinnerung mitgegeben hatte. Zu medizinischen Zwecken , hatte sie lachend gesagt. Wenn das jetzt nicht ein schwerer Anfall von irgendwas war, was dann? Und so saß er im dunklen Arbeitszimmer, zu sehr in Gedanken versunken, um Licht zu machen, und starrte durch das regennasse Fenster, das zum Garten führte. Wenn es nicht so gegossen hätte, er hätte sich draußen eine angesteckt – ohne sich hinter dem Baum zu verstecken. Ganz plötzlich, wie der Stich einer Nadel, wurde ihm klar, dass er sich ... er konnte das Wort kaum denken. Er benahm sich zickig, ja, bockig wie ein eingeschnappter Vollidiot. Wütend und beschämt über sich selbst schnappte er seine Jacke, schrieb kurz einen Zettel, falls Nili doch noch aus ihrem Turm kam, legte ihn auf den Küchentisch und machte sich auf den Weg zur nächsten Kneipe.
Im Piet´s krumme Scholle war es rappelvoll, denn auf dem Sportkanal lief ein Fußballspiel des Hamburger SV und zur Abwechslung führten die Jungs sogar, was den Lärmpegel erheblich nach oben trieb. Daan setzte sich auf einen der Hocker, die, wegen der schlechten Sichtverhältnisse auf den Bildschirm, gemieden wurden. Er bestellte Fassbier. Ein großes Bier. Die Frage nach einem Guinness hatte ihm nur einen verdutzten Blick eingebracht.
Er versuchte nachzudenken. Aber das deprimierende Aufstöhnen über ein Ausgleichstor und die ständig zur Toilette hastenden Fans erstickten jede Konversation mit sich selbst im Ansatz. Der kraushaarige Wirt, Piet, sah ihn hin und wieder an. Er zapfte, spülte und wischte was das Zeug hielt. Sowohl seine Lederschürze als auch sein langer Vollbart wippten ständig hin und her, wenn er sich seitwärts vorbeugte, aufgeschreckt von den dramatischen Schilderungen des Kommentators.
Daan wollte gerade ein zweites Bier bestellen, als Piet sich zu ihm vorbeugte und mit verschwörerischen Augen ansah.
«Machst Du hier Recherche?», fragte er.
Daan sah ihn verständnislos an.
«Ich dachte, vielleicht denkst Du über eine Reportage nach,
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