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Die Bestimmung

Die Bestimmung

Titel: Die Bestimmung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erik Kellen
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sich seine Augen in sie gewühlt hatten, so wühlte sich auch alles andere durch sie hindurch. Was hatte dieser Liran im Wald gesagt? Dass die Römer und Kelten auf dem Festland sich in einem Krieg gegenüberstanden, ganz so, als wäre es für ihn erst Tage her gewesen.
    Unten ging die Haustür. Sie hörte ihren Vater hereinschleichen. Wahrscheinlich war er müde und verärgert. Nilah konnte es verstehen. Zwei dieser Dinge war sie auch.
    Sie hatte noch mehr herausgefunden. Manche keltische Krieger waren nackt in die Schlacht gezogen. Bemalt mit blauer Farbe. Wilde Kämpfer, die dem Tod furchtlos ins Gesicht lachten und mit ihrem herausfordernden Gebaren die Gegenseite zum Zittern brachten. In Britannien war eine ganze Legion beim Anblick der blau bemalten Krieger zitternd umgedreht und ganz schnell wieder nach Hause marschiert.
    Aber was wirklich in jenen Tagen stattgefunden hatte, darüber wissen wir meistens überhaupt nichts, dachte sie. Da haben sich hunderttausende in regelmäßigen Abständen den Schädel eingeschlagen und ihr Blut auf fremden Böden verspritzt. Menschen, die ein Leben hatten, die jeden Tag die Sonne haben auf-und wieder untergehen sehen, die vielleicht am Nachthimmel den Mond angestarrt hatten und sich fragten, wer wohl eine schützende Hand über sie legen mochte?
    Natürlich hatte Nilah schon von Julius Cäsar gehört und gelesen. Hatte gewusst, dass man ihn mit einer Intrige und einer gehörigen Menge Messerstichen zum Schweigen gebracht hatte. Der ganze Kram über Kleopatra und so. Aber sie konnte sich nicht daran erinnern, dass der Mann, den ihr Geschichtslehrer mit seinen bewundernden und salbenden Worten fast umarmt hatte, solch gewissenlose Verbrechen begangen hatte. Woher auch. Das wurde anscheinend zum Wohle des Ruhms gern vergessen.
    Die Schlacht um Alesia: Ein Mann, Vercingetorix, hatte die keltischen Stämme endlich vereint. Zum ersten Mal trafen die Römer auf etwas, das sie nicht kannten. Verbrannte Erde. Und so schritten die 60.000 römischen Legionäre samt Schilden und Schwertern zuerst über kalte Asche und durch tote Dörfer und dann über die Hügel von Gallien und schlossen Alesia ein. Der große Feldherr, Cäsar, legte zwei Ringe um die Stadt. Einen sechzehn Kilometer langen inneren und einen einundzwanzig Kilometer weiten äußeren. Diese Schanzanlangen bestanden aus Türmen, Fallen, Gräben, Wällen, Fußangeln und anderen Hindernissen. Ein ganzer Wald ging dafür hopps. Nach etwa dreißig Tagen gingen den belagerten Kelten die Nahrungsmittel aus. Vercingetorix schickte all jene vor die Tore, die in einer Schlacht ohnehin nichts zu suchen hatten: Frauen, Kinder und Alte. Dort standen sie dann, zwischen den Mauern ihrer eigenen Stadt und den Palisaden der Römer. Doch niemand öffnete ihnen einen Weg hinaus. Cäsar ließ sie nicht durch seine Reihen. Sie starben qualvoll unter den Augen von vielen tausenden Kriegern. Auf beiden Seiten. Ein Einsatzheer traf ein. Doch die Römer hielten den Anstürmen stand, sowohl jenen, die aus der Stadt geführt wurden, als auch denen, die sie von außen bedrohten – und zwar mit Hilfe von abtrünnigen keltischen Reitern. Die Zweifrontenschlacht zerschellte an Disziplin und Verrat.Vercingetorix gab schließlich auf. Er wurde ins Gefängnis gesteckt, und nachdem der große Cäsar sechs Jahre später mit seinen anderen Siegen fertig war, wurde der Häuptling in Ketten durch Rom geschleift und hingerichtet.
    Ihr Lehrer hätte gesagt: Sie waren eben Kinder ihrer Zeit !
    Nilah begriff es nicht. Wie konnte man so etwas tun und danach noch Schlaf finden? Das wirklich Grausame stand ja zwischen den Zeilen. Die Frauen, Alten und Kinder hatten sich sicher nicht stumm und lautlos in ihr Schicksal gefügt. Was waren das also für Menschen gewesen, die vor solch einer Tragödie Augen und Ohren verschließen konnten? Wie hatten sie alle nur damit weiterleben können?
    Sie schauderte!
    Aber war es nicht genau das, was sie selbst jeden Tag tat? Zuzusehen und dann damit weiterleben? All die Bilder der Nachrichten. So zahlreich wie Moskitos waren sie. Und was bewahrte einen davor, nicht wahnsinnig dabei zu werden? Hinschauen, kurz das Elend registrieren, es bedauern und dann ganz schnell wieder vergessen. Kinder ihrer Zeit! Es war ihre eigene Zeit!
    So war nun einmal des Menschen wildes Herz. Und wir sollen das Abbild eines gerechten, liebenden Gottes sein? , dachte sie voller Bitterkeit.
    Wir gehen ins Kino oder wählen einen neuen DSDS-Star, während

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