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Die Bestimmung

Die Bestimmung

Titel: Die Bestimmung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erik Kellen
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Brot und Weintrauben. Dazu gab es im Fluss gekühltes Guinness. Daan fühlte sich wie ausgewechselt und wunderbar leicht. Die Landschaft, die Ruhe, die sie ausstrahlte, Morrins Haare, die im Wind wehten, all das ließ ihn innerlich lächeln. Entspannt legte er sich auf den Rücken, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und schaute hinauf zu den wenigen Wolken, die eilig über den Himmel zogen.
    Wie selbstverständlich tat Morrin es ihm gleich, nur dass sie ihren Kopf dabei gegen seine Rippenbögen lehnte. Einen Moment erschrocken beschloss Daan das Gefühl, das so lange fortgewesen war, einfach nur zu genießen und so hob sich seine Hand wie von selbst und berührte zaghaft ihr Haar.
    «Erzähl mir etwas von Dir, von Deiner Geschichte», bat sie ihn und steckte sich eine Traube in den Mund.
    «Geboren wurde ich in Amsterdam», begann er aufgeregt, wollte auf ein Mal alles loswerden, nur damit sie ihn verstand, damit sie ihn mochte.
    «Es soll gehagelt haben an dem Tag. Mitten im Sommer. Meine Eltern waren Binnenschiffer. Sie transportierten Kohle, Sand, Kies und andere Dinge über die Flüsse. Hauptsächlich bis nach Duisburg, wo der größte Binnenhafen Europas lag. Mein Vater war ein grober, verschlossener Mann. Er hatte seine Familie während des Krieges verloren und der Hass auf die Deutschen war nie erloschen. Wenn er wüsste, dass ich heute in Hamburg lebe, würde er sich im Grabe umdrehen. Er war ein wütender Mann. Regnete es, war es ihm zu nass, schien die Sonne, war es ihm zu warm. Jeden Morgen stand er auf und verfluchte die gottverdammte Welt aufs Neue und wünschte, sie würde in die Hölle fahren, mit den Deutschen voran. Es gab nichts, was ihm je Freude gemacht hat. Jedenfalls habe ich es nie erlebt. Er trank nicht, er rauchte nicht, und hätte es eine Möglichkeit gegeben, er hätte auch nichts gegessen. Wie ich gezeugt wurde, ist mir ein Rätsel, denn ich habe meine Eltern nie Zärtlichkeiten austauschen sehen. Nie. An meine Mutter kann ich mich kaum erinnern, sie war irgendwie unsichtbar oder vielleicht ist das Bild meines Vaters einfach stärker als ihres, ich weiß es nicht.
    Als mein Bruder geboren wurde, schien sich all das zu ändern. Ich sah das erste Mal so etwas wie Leben im Gesicht meines Vaters, auch wenn es nicht mir galt. Drei Jahre lang meinte es die Welt gut mit uns und ließ unsere Familie in Ruhe. Ich arbeitete hart, schrubbte das Deck, half bei allem mit, auch wenn es oft zu schwer für mich war. Doch Dank oder Liebe gab es dafür nicht. Ich bemerkte, dass ich einen Sinn für Sprachen hatte. So reichten Landgänge und nächtlicher Funkverkehr schon aus, um bald ein passables Deutsch und sogar Französisch zu sprechen. Wenn mein Vater mich dabei erwischte, starrte er mich nur an. Er schlug nicht zu, er tobte nicht, er sah mich nur an. Das allein reichte aus, um mich für Tage und Wochen zum Schweigen zu bringen.
    Eines Tages wurde mein Bruder krank. Er kam in ein Krankenhaus in Köln. Ich durfte ihn nicht wieder besuchen, obwohl ich hörte, wie er im Zimmer nach mir rief. Dann, eines nachts, fing es an zu hageln. Noch heute höre ich das ohrenbetäubende Prasseln, als die dicken Körner auf das Deck schlugen, den Fluss aufwühlten und die Uferböschung weiß färbten. Es waren nur Minuten, aber ... irgendwann mitten in der Nacht, kam mein Vater vom Krankenhaus zurück, packte schweigend meine wenigen Sachen zusammen, warf sie an Land und starrte mich an. Da wusste ich, dass mein Bruder gestorben war. Später, als ich im Krankenhaus nachfragte, sagte man mir, es sei eine Embolie gewesen, so etwas komme bei Lungenentzündungen manchmal vor.»
    Morrin drehte sich herum und sah ihn so durchdringend an, dass Daan abwechselnd kalt und heiß wurde.
    Er fuhr fort.
    «Ich kam in ein Heim. Ein von Nonnen geführtes Heim. Später dann in eine Pflegefamilie, die ihre Wurzeln ebenfalls in Holland hatte. Erst da begann mein Leben wirklich. Viele glückliche Jahre später nahm ich zu Ehren meines neuen Vaters seinen Familiennamen an. Er starb an Tuberkulose.
    Ich schwor, sollte ich jemals ein Kind haben, dann würde ich es so lieben, wie es mir in jener Familie widerfahren ist», schloss er und schwieg dann.
    Lange Zeit wehte nur der Wind über das karge grüne Land. Daan konnte nicht glauben, was er da erzählt hatte. Nicht einmal Nili wusste alles darüber. Es war, als hätte Morrin eine alte geheime Tür geöffnet. Er hatte einfach hindurchgehen müssen.
    Plötzlich berührten Lippen die seinen

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