Die Bestimmung
lagen in Sunabrus Hand. Was hatte der Mann hier getan, wenn nicht jemanden zu beschützen? Tok hatte mehr herausbekommen. Und er hatte es für sich nutzen wollen. Nun war es an Sunabru, seine Züge zu machen. Sie würden grausam ausfallen. Im Vorbeigehen stieß Sunabru das Schwert in den toten Körper von Rok. Die Blutlinie würde für immer enden. Bald.
Fieber und Flüche
«Bei den haarigen Arschbacken des Poseidon, man sollte die ganze verfluchte Injektionsnadelnherstellungsindustrie kielholen. Die verdammten Dinger wollen einfach nicht in den Arm.» So blumig hatte Peter seine Versuche kommentiert, Liran eine Spritze mit seiner «Spezialmischung» zu geben. Zwei waren verbogen, eine war gebrochen, einfach abgeknickt, als hätte er versucht, sie in einen Stein zu drücken - und so hatte er das Zeug fluchend in seine Tasche gedonnert und war grummelnd in den Garten marschiert, um frische Luft zu schnappen.
Nilah saß auf der Sofakante. Sie hatte schweigend, wenn auch leicht amüsiert, die Ausbrüche des quirligen Arztes verfolgt. Nun aber schaute sie mit einer Mischung aus Unglauben und, wie sie zugeben musste, Bewunderung auf Lirans Arm, dessen Haut nicht einmal einen Kratzer, geschweige denn einen roten Druckpunkt an der Stelle hatte, wo Peter die Nadel hatte hineinstechen wollen. Einmal, aber nur für einen kurzen Augenblick, hatte Nilah geglaubt, etwas habe sich blitzschnell unter der Haut bewegt. Als habe darunter irgendetwas eine Gefahr erkannt und mit unglaublicher Schnelligkeit darauf reagiert. Aber sie behielt es für sich.
Ihr Vater war in die Stadt gefahren, um «Proviant» zu holen. Manchmal liebte er es, sich in diesem Pfadfinderslang auszudrücken. Damit versuchte er auf seine Art, die Stimmung aufzulockern und den Stress und die Spannung von allen Beteiligten zu nehmen. Nilah hatte ihm eine komplizierte Liste mitgegeben, doch mittlerweile kannte ihr Vater all jene Läden, in denen seine Tochter einkaufte, und insgeheim fand er es eigentlich ganz nett, jedes Mal mit Namen begrüßt zu werden und sich unter mildem Protest anzuhören, dass er ja glatt als Nilahs Bruder durchgehen würde. Nilah kannte diese Geschichten.
Peters Telefon klingelte. Nach einem kurzen Wortwechsel, bei dem er einige Male betreten mit dem Kopf nickte, kam er wieder herein, packte seine Tasche, und erzählte ihr, ein Notfall zwinge ihn zu einem anderen Patienten, der, wie er betonte, sowohl schwierig als auch schwerkrank sei. Nilah wusste, dass Peter auch Sterbebegleitung machte, aber sie hakte nicht weiter nach. Mit einem ernsten Gesichtsausdruck und der Anweisung, ihn bei jeder Veränderung sofort auf seinem Handy anzurufen, verschwand Peter und überließ den Verletzten der nicht zu unterschätzenden weiblichen Heilungskraft, wie er beim Einsteigen in sein Auto die Situation grinsend zusammenfasste. Es roch nach faulendem Laub und feuchter, kalter Luft, als Nilah dem gelben Sportwagen nachsah.
Plötzlich war sie allein. Im Haus war es vollkommen still. Unschlüssig stand sie eine Weile im Flur und wusste nicht, was sie tun sollte. Eigentlich müsste sie jetzt in der Schule sein. Es war das erste Mal seit der Begegnung in dem kleinen Wald von Connemara, dass sie mit Liran wieder allein war. Damals hatte sie ihn für einen entflohenen Psychopathen gehalten, jetzt hatte das Schicksal innerhalb weniger Tage ganz andere Worte dafür gefunden.
Leise schlich sie zurück ins Wohnzimmer. Der Tee war lauwarm, trotzdem trank sie ihn, während sie hinaus in den Garten schaute. Als sie hinter sich ein Geräusch hörte, drehte sie sich um und erschrak. Liran hatte sich wie in einem Krampf aufgebäumt und starrte mit weit geöffneten Augen an die Decke. Mit einem Schritt war sie bei ihm. Seine Augen waren nicht mehr blau, die Iris unnatürlich groß, in einem schimmernden, gelblichen Braun und die große Pupille von ruhelosem Schwarz. Plötzlich sah er sie direkt an, so dass Nilah unwillkürlich die Hand vor den Mund hielt.
Das waren nicht länger die Augen eines Menschen, sondern die eines Tieres. Dicke Schweißperlen rannen an seinen Schläfen hinunter. Seine Lippen waren ganz faltig. Er brauchte dringend Flüssigkeit. Für einen Moment suchte ihr Blick das Telefon auf dem Tisch, unsicher, ob sie Peter anrufen sollte, aber als sie sich Liran dann wieder zuwandte, waren seine Augen geschlossen, der Körper zurückgesunken. Nilah schüttelte den Kopf. War sie überdreht? Sah sie Dinge, die von Übermüdung und Stress herrührten?
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