Die Bestimmung
noch seine Waffen besessen und jetzt, was hatte er jetzt? Einen Messerblock in der Küche, dessen Klingen zu Staub wurden, wenn sie sich seiner Haut näherten. Ein paar Steine, die vor tausenden von Jahren irgendein Neandertaler bei der Jagd benutzt hatte. Der Funke erstarb.
«Wir könnten zum Flughafen fahren, ein paar Tickets kaufen und wären in ein paar Stunden in New York, Afrika oder Brasilien», schlug Daan vor.
«Und wie willst Du Liran einen gültigen Reisepass besorgen?», konterte Nilah.
«Dann eben mit dem Auto! Hauptsache weg.» Sie sah, dass er sich an die Hoffnung der Flucht klammerte.
Liran erhob sich und schaute in den Garten. «Die Frage ist doch, wie lange wir das durchhalten können. Sunabru wird uns finden, egal, wo wir sind, was bedeutet, niemals stehen bleiben zu können. Dieses Haus aber ist Euch vertraut, die Stadt ebenfalls. Besser man versteckt sich an einem Ort, den man kennt. Zudem ist dieses Haus gut zu verteidigen. Der Fluss ist optimal. Zu breit, um einfach darüber zu springen. Vorn ist die große Straße. Vorteile, die wir anderswo nicht hätten. Vielleicht sollten wir hierbleiben.»
Nilah wusste, dass es entschieden war. Und noch etwas anderes ahnte sie: Der Krieger wollte seine Verfolger, ihre Verfolger, dezimieren. Er wollte die Feinde auf ein erträgliches Maß zusammenstutzen, denn je weniger es wären, desto schwerer würde es ihnen fallen, solch eine Jagd aufrechtzuerhalten. Die Frage war nur: War es eine kluge Entscheidung? Die beste? Wirklich zufrieden schien er mit seinem Entschluss nicht zu sein.
Der Rest der Nacht war bestimmt von handwerklichem Geschick und Nilahs Staunen darüber, was man alles in einem Haus finden konnte, um daraus eine Waffe zu machen.
Liran erwies sich als sehr einfallsreich, geradezu kreativ, als es darum ging, aus den wenigen Steinen Dinge zu fertigen, die dazu geeignet waren, jemanden vom Leben in den Tod zu befördern. Er sortierte jene Steine aus, die sich als Pfeilspitzen eigneten, flocht aus ein paar mittelgroßen einen beeindruckenden Schlagring, den er sich um die Faust wickeln konnte, und zerhackte den Besenstil, der kurz darauf zu zwei improvisierten langstieligen Äxten wurde, auf denen die alten steinernen Speerspitzen staken wie bösartige schwarze Zähne.
Aus dicken runden Holzplättchen, die wohl einmal als Untersetzer gedacht waren, machte er Wurfsterne, indem er feine Splitter hineinsteckte und sie mit Streifen aus seinem Wams umwickelte, damit sie hielten.
Es war eine Aufrüstung. Nilahs Vater lief durch das ganze Haus, wühlte mit der Taschenlampe in jedem Winkel des Kellers, kramte heraus und hervor, fand sogar die eiserne Spitze einer alten Harpune, die er damals aus Kanada mitgebracht hatte. Leider war die Harpune zu jung - wie Liran ihm knapp sagte - und so ging er erneut los, um etwas anderes aufzutreiben. Noch immer hatte sie das eigenartige Gefühl, ihr Vater gehe ihr aus dem Weg. Das gefiel ihr überhaupt nicht.
Nilah stand oft im Weg oder war damit beschäftigt, in den Garten zu starren, an jene Stelle, an der Liran den Wolf an seine Brust gedrückt und sich dieser in blaue Farbe verwandelt hatte – als wäre er nur ein Traum gewesen.
Doch Liran drängte sie immer wieder dazu, ihm zu helfen. So bohrte und wickelte sie verschiedene Gegenstände und betrachtete dabei oft Lirans schlanke Hände, von denen sie noch immer nicht wirklich glauben wollte, dass sie töten konnten. Immer wieder waren Fragen in ihrem Kopf.
Ihre Augen wurden schwer, die Hände ungenau. Sie fragte sich ein ums andere Mal, wie Liran diese Anspannung wegstecken konnte. Immer wieder vergaß sie, dass er Magie in sich hatte und dass er vermutlich deshalb kaum Anzeichen von Müdigkeit zeigte. Als sie auf die Uhr sah, die sie nur noch verschwommen wahrnahm, erkannte sie eine Fünf. Sie wunderte sich noch, dass nicht mehr Zeit vergangen war, dann fielen ihr die Augen zu. Der letzte Untersetzer glitt aus ihrer Hand.
Sie bekam nicht mit, wie Liran mit ihrem Vater in den kleinen Wald gegenüber dem Fleet ging. Wie zwei Verschwörer hätte sie die beiden dort stehen sehen, in ein Gespräch vertieft. Doch sie schlief.
Hamburg
Liran zwang sich, nicht zu staunen, auch wenn es ihm sehr schwer fiel. Also versuchte er, sich zu entspannen, was ihm aber nicht so recht gelingen wollte. Er hatte eines der selbst gebauten Kriegsbeile in seiner Jacke, und eine weitere Klinge hatte er sich wie ein Messer um den Unterarm gebunden, um sie jederzeit
Weitere Kostenlose Bücher