Die Betäubung: Roman (German Edition)
Seufzend läuft er hinter Allard her. Wenn er jetzt alles an mir auslässt, schicke ich ihn gleich weg, das halte ich nicht mehr aus. Unsinn, man setzt jemanden, der gerade ein solches Trauma durchgemacht hat, nicht auf die Straße. Reiß dich zusammen, schau’s dir erst mal an.
»Vielen Dank«, sagt Allard. »Als ich auf der Herzüberwachung lag, habe ich vergessen, mich bei dir zu bedanken. Du hast mich von diesem Dach gerettet.«
Er duzt dich. Er sagt etwas Nettes. Kaum zu glauben!
»Kannst du erzählen, wie es dich dorthin verschlagen hat?«
»Das lief ganz blöd. Ich bin sofort nach der Landung aus dem Hubschrauber gesprungen und habe mich wahnsinnig über den Propeller erschrocken. Die Rotorblätter direkt über mir drehten sich so irre schnell, dass ich dachte, sie würden mich köpfen. Ich bin weggerannt und stand plötzlich an der Dachkante. Da bin ich, glaube ich, zusammengesackt, ich hätte ja runterfallen können. Luc schrie. Aber ich konnte mich nicht mehr von der Stelle rühren. Ich konnte überhaupt nichts mehr. Auch nicht sprechen. Ich wollte zum Hubschrauber zurückkriechen, aber es ging nicht. Ich war wie gelähmt. Ich hatte bestimmt eine Herzfrequenz von mindestens zweihundert. Ich hatte Todesangst.«
»Deine Kollegen dachten, dass du die Absicht hattest, vom Dach zu springen.«
Allard schüttelt den Kopf.
»Das würde ich nie wagen. Und das hatte ich auch gar nicht vor. Ich hatte überhaupt nichts vor. Ich habe unbedacht gehandelt und einen Panikanfall bekommen, als ich mich in diese Situation hineinmanövriert hatte.«
»Was war davor passiert?«
»Wir sind zu einem Unfall geflogen. Wir konnten den Verunglückten nicht retten. Das war schon scheiße.«
»Habt ihr noch geredet, auf dem Rückflug?«
»Luc hat vor sich hin geschimpft. Manchmal hasse er diesen Beruf, sagte er. Man müsse so furchtbare Sachen miterleben. Und man sei oft so machtlos. Das könne man nicht immer an sich abprallen lassen. Darunter leide er. Er sah auch richtig mitgenommen aus. Ich habe nicht viel gesagt.«
»Und davor, bevor ihr abgeflogen seid?«
»Da habe ich mit Suzan gesprochen. Im Treppenhaus. Sie fragte, ob ich Höhenangst hätte. Tja, die hab ich wohl, aber das wusste ich da noch nicht.«
»Ist noch etwas anderes zwischen euch zur Sprache gekommen?«
»Ja.«
Drik lässt die Stille anhalten. Allard setzt sich anders hin. Kratzt sich am Kopf.
»Dass sie mir fehlt, habe ich gesagt. Und ich habe sie umarmt. Das ließ sie zu.«
»Und dann?«
»Sie wollte nicht darauf eingehen. Sie findet, dass Schluss sein muss. Meiner Meinung nach meint sie das nicht wirklich, ich bin mir sicher, dass sie zu mir zurückkommt. Wir konnten dort im Treppenhaus nicht darüber reden. Aber das kommt schon noch. Wenn du denkst, dass ich mich umbringen wollte, weil sie mir eine Abfuhr erteilt hat, bist du auf dem Holzweg. Das stand nicht zur Debatte.«
Ich höre zu, denkt Drik, ich registriere, was er sagt, aber ich glaube ihm nur halb. Lassen wir das mal beiseite.
»Kannst du erzählen, wie es für dich war, als du da an der Dachkante gesessen hast?«
»Alles stand still. Ich dachte auch nichts. Erst als du mich gerufen hast, konnte ich mich wieder bewegen. Aber auch da habe ich nichts gedacht, es ging automatisch, ohne mein Zutun. Eine Art Erleichterung war es wohl, dass jemand da war, der mir erklärte, was ich tun sollte. Jemand, der es mir vormachte. Wenn ich darüber nachgedacht hätte, hätte ich mich niemals getraut, zu dir rüberzukriechen.«
»Wieso?«
»Ich hätte mich geschämt. Oder ich hätte gedacht, dass du nur schön daherredest und gar nicht ehrlich meinst, was du sagst.«
»Aber ohne nachzudenken, ging es. Da konntest du mir schon vertrauen.«
Jetzt setzt sich Allard gerade auf.
»Ja, okay, du hast recht. Du warst mein Vater. Der zurückgekommen war, um mich zu holen. Das hast du auch gesagt: Ich bin hier, um dich zu holen. Die Inszenierung des Kindheitstraumas, diesmal mit gutem Ende. Wirklich großartig. Bin ich jetzt geheilt?«
Drik beschließt, den sarkastischen Ton zu überhören.
»Das weiß ich nicht. Ich habe aber schon den Eindruck, dass du dein Leben gerettet hast, indem du den Widerstand gegen deinen Vater – oder für ihn stehende Personen – einen Moment lang aufgegeben hast. Du hast mir erlaubt, dir zu helfen. Zum ersten Mal.«
»Darüber bist du bestimmt sehr zufrieden. Der erfolgreiche Therapeut, der das Leben seines Patienten rettet. Schönes Gefühl, oder?«
»Dass du nicht
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