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Die Betäubung: Roman (German Edition)

Die Betäubung: Roman (German Edition)

Titel: Die Betäubung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Enquist
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und der Sauerstoffflasche agierte.
    »Müssen wir Epinephrin geben?«, fragte jemand.
    »Nein, zuerst defibrillieren«, rief ein anderer.
    »Ich habe einen Puls«, sagte Tjalling keuchend.
    Sie legten Allard auf die inzwischen heraufbeförderte Krankentrage. Suzan drückte ihm die Atemmaske aufs Gesicht und klemmte den Beutel unter ihren Arm, um ihm Sauerstoff zuzuführen. Sie zwängten sich allesamt in den Fahrstuhl, zur Herzüberwachung.
    Das Elektrokardiogramm ließ keinerlei Auffälligkeiten erkennen.
    Taselaar ging, um der Polizei und der Feuerwehr zu danken, und Luc verschwand, um einer neuerlichen Unglücksmeldung Folge zu leisten. Tjalling rüttelte Allard an der Schulter und rief seinen Namen.
    »Was ist?«, fragte der Junge.
    »Du bist kurz bewusstlos gewesen. Wir mussten dich reanimieren. Wie fühlst du dich jetzt?«
    »Komisch. Müde.«
    Vierundzwanzig Stunden an den Monitor, meinte Tjalling. Um kein Risiko einzugehen.
    »Paroxysmale Tachykardie, könnte sein, infolge heftigen Erschreckens. Emotionen und so. Man könnte mit Betablockern anfangen. Der Kardiologe soll das entscheiden.«
    Zu guter Letzt waren Suzan und Drik bei Allard zurückgeblieben, jeder auf einer Seite des Bettes. Allard schaute vom einen zum anderen.
    »Wie ähnlich ihr euch seht«, sagte er. »Die gleichen Augen, die gleiche Gesichtsform. Das ist mir noch nie aufgefallen.« Dann war er eingeschlafen.
    Was soll ich machen?, hatte Drik gedacht. Er hatte solche Kopfschmerzen, dass er kaum aus den Augen gucken konnte. Suzan stand mit um den Leib geschlungenen Armen in dem kleinen Büro. Sie schaute ihn an, aber er wandte sich dem Oberpfleger zu. Murmelte etwas von undeutlichem Hergang und gab seine Telefonnummer an, falls Allard nach ihm fragen sollte oder die Abteilung etwas mit ihm besprechen wollte.
    »Und Sie sind?«
    »De Jong. Psychiater.« Der Mann kritzelte etwas ins Krankenblatt und nickte.
    »Ich warte hier auf die Kardiologie«, sagte Suzan, als sie zusammen auf dem Flur standen. »Irgendwer muss doch so etwas wie eine Übergabe machen.«
    Sie sieht jung aus und ganz anders als zu Hause, dachte Drik. Wenn sie jetzt bloß den Mund hält, es wird mir alles zu viel.
    »Das ist meine Schuld. Ich habe ihn verlassen. Dass er so heftig reagieren würde, habe ich nicht geahnt«, gestand Suzan mit tiefem Erröten.
    »Lass uns erst einmal abwarten, was er selbst dazu sagt«, erwiderte Drik. »Es muss nicht unbedingt alles um dich kreisen, also behalt deine Hypothesen besser für dich. Es ist schon genug Schaden angerichtet worden.«
    Sie zuckte zurück, als hätte er ihr ins Gesicht geschlagen. Es war ihm vollkommen egal. Ohne sich noch einmal umzuschauen, ging er.
    Ich muss diese Patientin anrufen, dachte er, die Frau, die bei mir war, als Peter anrief. Drik stellt den Apparat im Sprechzimmer immer ab, wenn er jemanden da hat, aber der Apparat in der Küche ist trotzdem schwach zu hören. Er hatte nicht mehr aufgehört zu läuten, minutenlang.
    »Ich muss wohl doch mal kurz rangehen«, hatte er entschuldigend gesagt. Und dann hatte er die Frau wegschicken müssen. Als er aus dem Haus stürmte, stand sie noch vor der Tür und schloss ihr Fahrrad auf.
    Er hatte sein Auto direkt vor dem Krankenhauseingang stehen lassen, dem Pförtner seine Schlüssel zugeworfen und war mit dem Sicherheitsmann in den Fahrstuhl gerannt. Beim ersten Blick aufs Dach hatte er gewusst, wie sich die Sache verhielt. Gewusst? Nein, gespürt. Ein ernsthafter Selbstmörder, der Mut hat, steht am Abgrund. Traut er sich nicht so recht, liegt er ausgestreckt an der Dachkante, um sich in die Tiefe rollen zu lassen, mit geschlossenen Augen. Hier hockte ein banges Kind. An einem sehr gefährlichen Ort. Ruhe, hatte er gedacht. Du darfst ihn nicht erschrecken. Du musst irgendwie Entwarnung vermitteln und einen Anreiz geben.
    Jetzt, da er sich den verzweifelten Jungen vergegenwärtigt, schießen ihm Tränen in die Augen. Es ärgert ihn, er verbietet sich das, er will nicht wissen, woher seine Rührung kommt. Gleich, wenn sie einander gegenübersitzen, müssen sie über die Fakten reden. Was genau passiert ist, wie so etwas in Zukunft zu verhindern wäre, ob von der Therapie noch irgendein Heil zu erwarten ist.
    Die Klingel. Drik schlurft zur Tür. Seine Knie tun noch weh von der harten Kiesdecke auf dem Dach.
    Allard schiebt sich in den Flur, ohne Drik anzusehen. Er wird sich wohl schämen, denkt Drik. Nach der extremen Annäherung auf dem Dach muss er mich von sich stoßen.

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