Die Betäubung: Roman (German Edition)
steht ein Ersatz der Aorta bei einer Frau mit einem riesigen thorakalen Aneurysma – eine lebensbedrohliche Situation, eine Zeitbombe, die das behandelnde Team mit Nervosität und Neugierde erfüllt. Während sie darauf warten, dass einer der größeren Operationssäle frei wird, schreibt sich Suzan einige Punkte auf einen Zettel, die sie bei dieser Operation besonders zu beachten hat. Sjoerd geht Kaffee holen.
Rudolf Kronenburg betritt den Kaffeeraum. Er schaut sich desinteressiert um und setzt sich zu Suzan. Sie hat bei der Übergabe, bei der er fehlte, gehört, dass ihm gestern ein Schnitzer unterlaufen ist: Als er einen zentralen Venenkatheter direkt unterhalb des Schlüsselbeins legen musste, hat er versehentlich in die Lungenspitze gestochen. So etwas kann passieren. Dass er die Lage des Katheters aber anschließend nicht überprüft und den entstandenen Pneumothorax nicht bemerkt hat, ist ihm anzulasten.
»Tut mir leid, das mit dem Pneumothorax«, sagt sie. »Hattest du deswegen keine Lust, zur Übergabe zu kommen?«
»Mein Besserungsprojekt führt über stets höhere Bergrücken«, erwidert Rudolf. »Ich brauche ausreichend Schlaf, um das durchzuhalten. Die Herzchirurgen haben Vereycken zu verstehen gegeben, dass sie auf mein Beisein bei ihren Operationen keinen Wert mehr legen.«
»Oje, Rudolf, das ist aber ganz schön blöd.«
»Mir ist dabei eine glänzende Idee gekommen.« Er zieht einen Brief aus seiner Brusttasche und hält ihn hoch.
»Eine Liste von Operateuren, mit denen ich nicht länger zusammenzuarbeiten wünsche! Die werde ich gleich unserer unvergleichlichen Livia übergeben.«
»Meinst du, dass das klug ist, wo du dich doch gerade bewähren musst?«
»Wenn sie sich daran halten, trüge das zu einer erheblichen Verbesserung bei, das kann ich dir versichern. Zumindest, was meine Arbeitsbedingungen betrifft.«
»Warum gehst du nicht einfach weg? Fängst irgendwo anders an?«
Kronenburg seufzt und sackt ein wenig in sich zusammen.
»Soll ich mich in meinem Alter noch in eine Gemeinschaftspraxis einkaufen? Und seien wir mal ehrlich, wer will mich denn haben, da würde ich doch höchstens irgendwo in Goes oder Delfzijl landen. Nein, Suzan, das ist keine Option, das weißt du genauso gut wie ich. Ich muss hier im Staub kriechen.«
»In der Provinz verdienst du aber mehr.«
»Geld ist nicht ausschlaggebend«, sagt Kronenburg, der sich wieder zu ganzer Größe aufgerichtet hat. »Wenn ich an das soziale Umfeld in so einem Provinzkrankenhaus denke, der blanke Horror! Das wäre Selbstmord für mich. Wusstest du eigentlich, dass die arme Bibi mich bei meinen Besserungsbemühungen betreuen muss? Sie war ziemlich entgeistert über diesen Pneumothorax. Zum Glück hat er den Patienten nicht das Leben gekostet, er hatte ja noch den anderen Lungenflügel. Bibi hat mich gleich angeleitet: Praktisch parallel zum Schlüsselbein und vorsichtig, sagte sie, dann kann nichts schiefgehen. Als wenn ich ein blutiger Anfänger wäre! Ich habe natürlich gar nicht hingehört, habe sie nicht mal angesehen. Ich habe schließlich auch meine Ehre. Zugegeben, ich bin oft ziemlich unbesonnen. Und fahre vielleicht auch zu schnell aus der Haut. Dafür wird Bibi überhaupt nie böse. So mäandern diese Besserungseinheiten vor sich hin und führen zu nichts. Schwierig, schwierig. Und es besteht die berechtigte Annahme, dass das Ganze scheitert.«
Suzan sieht Allard hereinkommen. Er wird gleich von Taselaar angehalten, der in ihre Richtung zeigt. Shit, er wird heute assistieren. So ein anästhesiologisches Kunststück ist natürlich spannend für ihn. Wie schlecht er aussieht, ganz abgemagert und hohläugig. Ach verdammt, warum können wir nicht einfach unserer Arbeit nachgehen, ohne ständig darauf zu achten, wie sich alle fühlen? Das hängt mir zum Hals raus.
Kronenburg redet ungehindert weiter.
»Ist doch ziemlich naiv, mich ändern zu wollen, oder? Als wenn er der Allmächtige persönlich wäre, unser Prof. Ich war schon immer ein aufbrausender Mensch, das wird mir so ein freundliches Frauchen wie Bibi nun wirklich nicht austreiben.«
»Weißt du, was du machen solltest, wenn du deine Stellung behalten möchtest, Rudolf?«, sagt Suzan, während sie sich erhebt. »Du solltest eine Therapie machen. Letzter Strohhalm.« Sie nimmt ihre Papiere und geht zur Tür.
»Glorreiche Idee!«, schallt es hinter ihr her. »Eigeninitiative, eine proaktive Haltung, mit der ich mein Besserungsprojekt enorm beschleunige. Toller
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