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Die Betäubung: Roman (German Edition)

Die Betäubung: Roman (German Edition)

Titel: Die Betäubung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Enquist
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Nicht mit ihm reden, bevor alles in Ordnung ist. Sagt Peter.«
    Es dauert. Sie sieht die Menschen unten zum Dach hinaufstarren. Was sehen sie dort? Großer Gott, beeil dich, ruf zurück, mach schon …
    »Man sollte es wie bei Tigern im Zoo machen«, sagt Ab. »Einfach einen Pfeil mit Succinylcholin auf ihn abschießen.«
    Tjalling erschrickt.
    »Dann fällt er vielleicht zur falschen Seite um. Und du musst dich sofort auf ihn stürzen und intubieren. Sonst erstickt er. Viel zu riskant.«
    Taselaar zuckt die Achseln.
    Telefon. Suzan knallt den Apparat an ihr Ohr.
    »Entschuldige«, sagt Peter, »es hat einen Moment gedauert, bis ich ihn erreicht habe, er war beschäftigt. Habe einfach weiter angerufen, bis er zum Glück drangegangen ist. Er ist unterwegs. Sorgst du dafür, dass er gleich nach oben gebracht wird?«
    »Ja«, sagt Suzan. Sie unterbricht die Verbindung und ruft den Pförtner an. Tjalling und Ab lauschen imponiert ihren Anweisungen.
    »Ein Doktor de Jong kommt gleich. Psychiater. Er muss, so schnell es geht, zum Hubschrauberdach gebracht werden. Steht der Sicherheitsmann neben Ihnen? Hat er den Fahrstuhl blockiert? Gut. Sie informieren die Polizei und fahren sein Auto aus dem Weg. Danke.«
    Sie lässt sich auf eine Stufe sinken. Taselaar legt die Hand auf ihre Schulter.
    »Gut gemacht, Suzan. Kommst du jetzt mit?«
    Sie gehen zum Dach hinauf. Die Türen stehen offen. Sie bleiben am Eingang stehen, ohne es abgesprochen zu haben. Drohend ragt der Hubschrauber vor ihnen auf. Luc und der Pilot stehen stocksteif daneben. Langsam zwingt Suzan ihren Blick zur Dachkante, zu einem zusammengekrümmten Körper, der auf der Grenze des immensen Abgrunds balanciert. Sie fühlt eine Woge der Übelkeit in sich hochsteigen.
    Allard hockt mit dem Rücken zu ihnen da, sein Gesicht ist nicht zu sehen. Er hat die Arme um die Knie geschlungen. Es ist böig. Mal scheint sich kein Lüftchen zu regen, dann wieder stürmt es regelrecht.
    Aus dem Fahrstuhlschacht ertönt ein Summen. Die Fahrstuhltür schiebt sich auf. Ein breiter, kahlköpfiger Mann in schwarzer Uniform tritt heraus. Hinter ihm taucht Drik auf. Er ist käsebleich. Er nickt Suzan und ihren Kollegen zu und richtet den Blick auf Allard.
    Dann betritt er das Dach. Zwei Schritte. Drei. Er setzt sich auf den Boden. Er wartet, bis der Wind kurz nachlässt, und sagt dann leise Allards Namen. Und ein zweites Mal. Keiner rührt sich.
    Ganz langsam hebt Allard den Kopf und schaut über seine Schulter. Drik fängt seinen Blick auf.
    »Leg dich am besten hin«, sagt Drik, »und roll dich zu mir rüber.«
    Allard lässt sich auf die Seite fallen. Jetzt liegt er auf dem Bauch. Drik spiegelt das Manöver und liegt nun auch bäuchlings auf den spitzen Kieselsteinen. Er sieht den Jungen unverwandt an.
    »Komm«, sagt er, »komm her. Ich bin hier, um dich zu holen.«
    Mit steifen, ruckartigen Bewegungen beginnt Allard über das Dach zu robben. Suzan sieht, dass Luc Anstalten macht, sich auf den Jungen zu werfen. Sie bedeutet ihm mit einer Gebärde, dass er das lassen soll.
    Ganz langsam nähert sich Allard seinem Therapeuten. Drik setzt sich jetzt auch in Bewegung und rutscht auf Allard zu. Drei Meter, zwei – Drik fasst Allard bei den Handgelenken.
    »Komm, es ist gut.«
    Mit einem animalischen Schrei kriecht Allard zu Drik heran. Drik legt die Arme um ihn und hält ihn ganz fest.

III. Reprise

21
    Wieder wartet Drik auf Allard. Ihm graut vor der Konfrontation, aber er hat nicht die Energie, sich selbst Mut zu machen. Er denkt an das Geschehen auf dem Krankenhausdach und beschließt, sich zunächst in Ruhe anzuschauen, was er im Gespräch erfahren wird. Falls der Junge überhaupt kommt.
    Allard hatte sich wie ein kleines Kind an Drik geklammert, alle anderen waren wie gelähmt stehen geblieben – einen Augenblick lang, dann war die Hölle losgebrochen. Taselaar schrie in sein Telefon, dass die Feuerwehr abrücken könne, Luc und Tjalling kamen zu ihnen herübergerannt, während Drik fühlte, wie der Junge in seinen Armen schlapp wurde. Er ließ ihn der Länge nach auf den Boden gleiten und legte die Finger an seinen Hals. Kein Herzschlag. Graue Gesichtsfarbe. Ein Pissfleck in der Hose. Drik hatte dem Himmel gedankt, dass er von Anästhesisten umringt war. Tjalling hockte schon neben ihm und reanimierte, Ab stand zur Ablösung bereit. Luc eilte mit dem Defibrillator herbei, den er aus dem Hubschrauber gezerrt hatte. Aus dem Augenwinkel sah Drik Suzan, die mit einem Beatmungsbeutel

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