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Die Betäubung: Roman (German Edition)

Die Betäubung: Roman (German Edition)

Titel: Die Betäubung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Enquist
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vom Dach gestürzt bist, hast du dir selbst zu verdanken. Ich habe dir nur insofern geholfen, als ich da war. Ein schönes Gefühl möchte ich das nicht nennen. Ich war sehr beunruhigt, und später, als die Gefahr vorüber war, war ich beeindruckt von dem Augenblick der Nähe zwischen uns. Du ja vielleicht auch.«
    »Mir blieb das Herz stehen«, sagt Allard spöttisch.
    »Das dachten die Experten auf dem Dach, ja. Ich auch, ich konnte keinen Puls fühlen. Und die Harninkontinenz sprach auch dafür.«
    »Das Kind macht sich in die Hosen vor Angst. Das war schon vorher passiert, als ich an diesem Abgrund landete.«
    »Was hat der Kardiologe gesagt?«
    »Der konnte nichts finden, obwohl er sich alle Mühe gegeben hat. Ich musste die Nacht über zur Beobachtung dortbleiben, am Monitor. Und zu Hause noch vierundzwanzig Stunden mit so einem Ding rumlaufen. Ohne Befund. Schließlich meinte er, dass man sich wohl geirrt hatte und ich einfach vor Schreck ohnmächtig geworden bin. Sie hatten es für einen Herzstillstand gehalten, aber das war es nicht.«
    »Könnte gut sein. In der Aufregung habe ich den Herzschlag vielleicht nicht fühlen können. Und die Anästhesisten fingen sofort mit der Thoraxkompression an. Da lag nicht mal eine halbe Minute dazwischen.«
    »Das ist eben unser Beruf, nicht?«, sagt Allard. »Sowie einer keinen Puls mehr hat, reanimieren und intubieren wir. Ich wäre von selbst wieder zu mir gekommen, wenn sie mal einen Moment hätten warten können. Weißt du, dass Vereycken das auch gesagt hat? Er war vorige Woche nicht da, auf irgendeinem Kongress oder so, Taselaar vertrat ihn. Er hat die ganze Geschichte erst heute Morgen gehört und wollte sie gleich heute Nachmittag bei unserer Sitzung besprechen. Ich komme gerade von dort.«
    In solchen Momenten überkommt Drik tiefe Dankbarkeit für seinen Selbstständigenstatus. Er braucht sich nicht gegenüber Berufsgenossen zu rechtfertigen, er ist keinen Gemeinheiten verbitterter Kollegen ausgesetzt, und niemand kann ihm irgendwelche Ordern erteilen. Er sieht diese Sitzung Allards vor sich – ein großer Kreis von Fachärzten und Assistenten, auf Komplimente lauernd oder Tadel fürchtend. Schleimen und treten. Aber so schlimm wird es wohl nicht sein. Nach dem, was Suzan erzählt hat, müssen es angenehme Runden sein, und sie selbst geht gerne hin. Ja, um neben diesem Jungen sitzen zu können, verdammt! Driks Gedanken schießen plötzlich wer weiß wohin, und es erschreckt ihn, wie heftig und unbeherrschbar sie sind. Er ist müde, doch er ignoriert das mit aller Macht. Hör zu. Sei aufmerksam. Die Anästhesiebesprechung.
    »Ich fand es schrecklich, mir graute total davor. Es waren auch so viele da, alle waren neugierig, was denn nun eigentlich vorgefallen war. Luc Delvaux guckte ganz verstört. Dieser orangefarbene Rettungsdienstanzug ist mir jetzt richtig zuwider, den will ich nie mehr anziehen. Suzan setzte sich neben Taselaar, nicht zu mir.
    Vereycken hat so eine gewichtige Art, sich auszudrücken, sehr korrekt, aber auch so ernst, dass man immer denkt, es sei eine Katastrophe passiert. Ich saß ein bisschen abseits, neben Winston. Ich traute mich nicht mal, zu meinem Kaffeebecher zu greifen, solche Angst hatte ich, dass sie sehen würden, wie sehr ich zitterte. Der Professor leitete das Ganze ein, dass es diesmal nicht um eine Komplikation bei einem Patienten gehe, sondern um einen Vorfall im Zusammenhang mit einem Assistenten. Mit mir also. Mir wurde ganz mulmig. Luc sollte von unserem Rettungseinsatz erzählen, was er auch tat, aber als er bei der Landung auf dem Dach angelangt war, unterbrach Vereycken ihn. Er fand, dass ich das besser selbst erzählen sollte. Ich kriegte kaum noch Luft. Sie konnten nicht verstehen, was ich sagte, ich sollte aufstehen! Schlimmer ging’s nicht. Na ja, ich hab’s dann so erzählt, wie ich es hier erzählt habe. Das sorgte für Aufregung, sie riefen alle durcheinander, von wegen Suizidrichtlinien und Polizei. Offenbar hatten sie, bevor ich auf der Abteilung anfing, über Selbstmordrisiken bei Anästhesisten gesprochen. Seither achten sie permanent aufeinander, und deswegen zweifelten sie auch nicht daran, dass ich springen wollte. ›Das hat man nun davon‹, sagte der Kardiomann Kees, ›die objektive Wahrnehmung wird beeinträchtigt, und man hat auf einmal jeden in Verdacht, dass er Selbstmordwünsche hegt.‹
    Vereycken fragte weiter, was wer gemacht hätte. Taselaar erzählte von seinem Kontakt mit der Polizei, und

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