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Die Betäubung: Roman (German Edition)

Die Betäubung: Roman (German Edition)

Titel: Die Betäubung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Enquist
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einen Notfall. Möglicher Selbstmordkandidat auf dem Hubschrauberdach. Polizei und Feuerwehr. Sofort alarmieren. Danach diese Nummer anrufen. Gleich!«
    »Was ist los?«, fragt Tjalling. »Ein Selbstmörder? Wer?«
    Ab reibt sich die Stirn.
    »Setz dich lieber«, sagt Suzan. Aber das kann er nicht, dafür ist er zu unruhig. Er tigert zwischen den Flurwänden auf und ab, während er erzählt. Luc ist mit einem Assistenten zu einem Unfall im Stadtzentrum geflogen. Auf der Straße haben sie sich lange um den Verunglückten bemüht, aber vergeblich, er war nicht mehr zu retten und ist in ihrem Beisein verblutet. Sie haben den Leichentransport abgewartet und mit der Polizei gesprochen. Dann sind sie wieder zurückgeflogen.
    »Nichts Außergewöhnliches, sagte Luc, abgesehen davon, dass der Tod dieses Mannes sie mitgenommen hat.«
    »Ein Assistent«, sagt Suzan. »Welcher Assistent?«
    »Schuurman. Es war sein erster Flug. Du kennst ihn natürlich, du hast ihn ja betreut. Dieser Schuurman ist es also. Nachdem sie gelandet waren und rausgesprungen sind, ist er gleich zur Dachkante gerannt. Dort hockt er jetzt. Luc hat einen Heidenschrecken gekriegt. Er hat ihm noch etwas zugerufen, komm zurück oder so etwas, aber dann hat er sich an die Instruktionen erinnert. Mit einer suizidalen Person in einer kritischen Situation darf man niemals reden. Erst wenn die Feuerwehr mit Sprungtüchern bereitsteht, darf man was sagen.«
    Das Telefon. Ab hört zu und nickt.
    »In fünf bis acht Minuten. Gut. Ich weiß nicht, ob mein Kollege da oben Sicht nach unten hat. Ich gehe jetzt selbst rauf. Rufen Sie mich an, sowie sie parat stehen.«
    Suzan merkt, dass sie am ganzen Leib zittert. Sie läuft in die Stationsküche und schenkt sich ein Glas Wasser ein. Ihre Zähne schlagen gegen das Glas, und sie kann kaum schlucken. Ihre Sinne arbeiten auf Hochtouren. Mühelos kann sie das geflüsterte Gespräch zwischen Ab und Tjalling verstehen.
    »Wir müssen einen Psychiater hinzuziehen, wir verstehen doch nichts von solchen Zuständen – ruf den Konsultationsdienst an!«
    »Meinst du?«, fragt Ab. »Vielleicht hast du recht, steht wahrscheinlich auch in irgendeiner Anleitung. Aber dann dauert alles noch länger, weil wir auf so einen Lahmarsch warten müssen.«
    Suzan verschluckt sich an ihrem Wasser. Hustend läuft sie auf die beiden Männer zu. Tjalling klopft ihr zwischen die Schulterblätter.
    »Psychiatrie geht nicht. Er war dort in der Weiterbildung. Bevor er hier anfing. Hatte dort Konflikte. Er kennt die Leute alle.«
    »Dann springt er gleich, meinst du?« Taselaar schüttelt den Kopf. »Wir müssen aber doch irgendetwas tun. Nicht auf eigene Faust eingreifen.«
    Wieder das Telefon. Ab hört zu. »Ich gebe es weiter«, sagt er.
    »Muss kurz Luc anrufen, der steht da die ganze Zeit rum.«
    Er erzählt Luc, dass die Feuerwehr eingetroffen ist.
    »In fünf Minuten sind die Sprungtücher ausgebreitet. Polizei ist auch da. Wir versuchen, psychiatrische Hilfe einzuschalten. Ich komme jetzt nach oben. So, dass er mich nicht sieht, ja. Darauf werde ich achten.«
    »Ich rufe Peter an«, sagt Suzan. Tjalling und Ab sehen sie fragend an.
    »Meinen Mann. Er arbeitet in der Psychiatrie. Ist Psychotherapie-Ausbilder.« Sie hat schon die Kurzwahltaste gedrückt.
    Die Männer rennen die Treppe hinauf. Suzan geht langsam hinterher, das Telefon am Ohr. Nimm ab, denkt sie, nimm ab, jetzt …
    »Suus! Ich hole Fisch für heute Abend, dafür brauchst du nicht …«
    »Hör mir zu. Allard Schuurman sitzt auf dem Dach. Er wird springen. Sie wollen hier die Psychiatrie einschalten. Was soll ich machen?«
    »Nicht reden. Und auf keinen Fall zu ihm hingehen. Abstand halten. Ich überlege mal schnell. Jemand von hier wäre nicht gut für ihn, das empfindet er bestimmt als Niederlage. Oder Bedrohung, was weiß ich. Drik! Er war bei Drik in Lehrtherapie. Ich ruf ihn an. Ruf dich gleich zurück.«
    Ab und Tjalling stehen auf dem nächsten Treppenabsatz und schauen nach unten. Die Polizei hat den Platz mit rot-weißen Bändern abgesperrt. Dahinter drängen sich Neugierige. Die Feuerwehr bringt entlang dem gesamten Krankenhausflügel Sprungtücher an. Drei Feuerwehrautos stehen kreuz und quer auf dem Pflaster. Es ist wahr, denkt Suzan, es passiert tatsächlich, und es ist meine Schuld.
    »Er ruft gleich zurück«, sagt sie zu ihren Kollegen.
    »Warten wir noch?«, fragt Taselaar.
    »Man darf sich ihm nicht nähern, dann bekommt er es mit der Angst zu tun und springt.

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