Die Betäubung: Roman (German Edition)
Leida?«
Leida schüttelt den Kopf, mit zusammengekniffenen Lippen.
»Das tue ich dann«, sagt Peter. »Hast du deinen Klienten für morgen schon abgesagt? Ich lasse später noch mal von mir hören, wenn ich Suus und Roos gesprochen habe.«
Drik zieht die Telefonliste von seinen Patienten hervor. Wer hat morgen einen Termin? Er legt die Liste neben seinen Kalender auf den Tisch. Konzentriert tippt er die Nummern ein, sagt den Termin ab oder hinterlässt eine entsprechende Nachricht auf dem Anrufbeantworter. Nach jedem Anruf macht er ein Kreuzchen hinter die Initialen in seinem Terminkalender. Ich bin angetrunken, denkt er, aber wenn ich achtsam bin, werde ich schon alles auf die Reihe kriegen.
Dann sitzen sie einander gegenüber, die Zwillingsschwester und der Sohn.
»Er möchte eingeäschert werden«, sagt Leida. »Fenny ist auch verbrannt worden. Und ihre Asche verstreut. Das möchte er auch. Da brauchst du kein Grab zu pflegen.«
Unsere Eltern werden vom Wind verweht, denkt Drik, sie düngen einen Fußballplatz, sie sinken auf den Grund eines Grabens, sie werden von einem verärgerten Autobesitzer von der Motorhaube gewaschen.
»Wäre es dir lieber, jetzt nicht allein zu sein? Möchtest du bei mir übernachten?«
Was mache ich, wenn sie ja sagt? Nehme ich sie dann hinten auf dem Gepäckträger mit?
»Ich bin schon seit Jahren allein, und es gefällt mir gut. Es ist lieb von dir, dass du das anbietest, aber es ist nicht nötig.«
Die Audienz ist vorbei, ich kann gehen. Drik steht auf. Bleischwere Beine.
»Ich lasse dich dann morgen kurz wissen, was wir besprochen haben. Möchtest du ihn eigentlich noch sehen? Dich von ihm verabschieden?«
»Ach, nein, dieses Begaffen so einer Leiche, dafür kann ich mich nicht erwärmen. Da ist nichts, wovon ich mich verabschieden könnte. Hendrik ist längst weg. Jetzt geh du nur.«
Er müsste sie berühren, ihr einen Kuss geben. Ihm läuft ein Schauder über den Rücken. Er muss plötzlich an Allard denken, der wortlos davontrottete, vor zwei Stunden erst. Was passiert da alles – Patient verloren, Vater verloren, dich selbst verloren. Hör auf zu lamentieren, raus mit dir, in die Kälte.
Bei Peter trinkt er noch ein Glas, was macht das schon, er muss ja morgen nicht arbeiten. Suzan ist nach Hause gekommen, und sie verabreden, wann sie am nächsten Tag fahren werden. Sie formulieren einen Text für die Todesanzeige, die erst nach der Einäscherung in die Zeitung gesetzt werden soll. Statt Karten. Sie sind sich in allem einig. Als schämten wir uns für ihn, denkt Drik. Wir halten sein Leben und seinen Tod geheim. Das muss eine Art Gegenübertragung sein, aber ich habe keine Lust, darüber nachzudenken.
Zu Hause fällt er in traumlosen Schlaf. Um sieben Uhr wird er wach, wie immer, als wenn nichts geschehen wäre. Ein blitzblanker Tag. Es hängt Frost in der Luft.
Drik fährt mit Suzan ins Pflegeheim. Dort angekommen, staunt er über das reibungslose Prozedere. In diesem Sterbehaus, wo jeder seine Rolle kennt, ist das Routine, es läuft wie geschmiert.
Die Pflegemanagerin mit der schrillen Stimme halten sie wohlweislich auf Abstand. Suzan sucht aus Hendriks Kleiderschrank einen Anzug und ein Oberhemd heraus. Drik wählt die Krawatte aus. Dann ziehen sie Hendrik ratternd aus der Kühlung und stehen linkisch neben der großen Schublade, in der er liegt. Während Suzan und die nette Schwester Hendrik anziehen, geht Drik hinaus. So schlicht wie möglich, denkt er, wenige Worte, Leida möchte bestimmt etwas sagen, Musik, ich muss mir seine Plattensammlung ansehen, Schubert vielleicht, ein Streichquartett, Hauptsache, es ist kurz, eine Viertelstunde alles in allem, höchstens zwanzig Minuten, und dann in den Ofen. Ein Essen zu fünft, in irgend so einem Schickimickiding im Wald, das wird wohl sein müssen. Was zu trinken.
Der Bestattungsunternehmer sitzt im Büro der Pflegemanagerin, die Drik energisch weggeschickt hat. Suzan kommt mit hochgekrempelten Ärmeln hinzu. Binnen einer halben Stunde haben sie alles festgelegt: die Anzeige, den Sarg, Tag und Uhrzeit der Zeremonie.
»Beim Krematorium gibt es ein Feld, auf dem die Asche verstreut werden kann«, sagt der Bestattungsunternehmer. »Falls Sie nichts Anderweitiges im Sinn hatten.«
Drik würde ihn eigentlich gern auf dieser Steilküste in Wales in den Wind werfen, er sieht schon vor sich, wie die Möwen über die graue Wolke erschrecken und in scharfem Bogen abschwenken. Aber er hält den Mund. Streufeld, auch
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