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Die Betäubung: Roman (German Edition)

Die Betäubung: Roman (German Edition)

Titel: Die Betäubung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Enquist
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trösten. Der bleibt in der Familie.
    »Ich werde sie anrufen«, verspricht Drik. »Tschüs, Roos.«
    Leida nimmt beim ersten Klingelton den Hörer ab.
    »Ich habe schon gewartet«, sagt sie. »Hendrik ist gestorben. Jemand aus dem Pflegeheim hat mich angerufen. Eine Frau mit sehr unangenehmer Stimme. Sie war verärgert, weil sie dich und Suzan nicht erreichen konnte.«
    »Oh«, sagt Drik. Mein Vater tot, warum nicht auch das noch. Ich muss handeln. Ich bin der Ältere. Aber zu betrunken zum Autofahren.
    »Ich rufe jetzt dort an, und dann komme ich zu dir. Bis nachher.«
    Es dauert eine Weile, bevor er irgendwo hinten in seinem Terminkalender die Nummer des Pflegeheims gefunden hat. Einem ziemlich begriffsstutzigen Pförtner muss er mühsam erklären, weswegen er anruft. Endlich wird er mit der Schwester der Krankenabteilung verbunden.
    »Es kam noch eine Lungenentzündung hinzu«, sagt sie. »Er lag schon wochenlang flach, das ist ein Risiko. Wir haben Sie nicht alarmiert, weil wir nicht von einem so dramatischen Verlauf ausgingen. Doktor Gaarland hat Antibiotika verschrieben, aber die Kur schlug nicht an. Er ist heute Mittag gestorben. Wir haben das nicht vorhergesehen, er war so stark.«
    Sie spricht ihm ihr Beileid aus. Drik bemüht sich, seine Wut zu bezähmen. Warum hat dieser Gaarland nicht Kontakt zu ihnen aufgenommen? Es schreit zum Himmel, wie inkompetent dieser Mann ist. Ich sollte ihn verklagen. Vor die Aufsichtskommission zerren. Beruhige dich. Die Schwester ist in Ordnung. Du musst das trennen. Er reißt sich zusammen und erkundigt sich nach dem Hergang.
    »Ich war nicht dabei, mein Dienst hat erst heute Abend um sieben Uhr angefangen. Meine Kollegin sagte, dass er ganz friedlich eingeschlafen ist. Ihr Vater war schon den ganzen Tag nicht mehr bei Bewusstsein. Er ist langsam weggeglitten, so kann man es wohl sagen. Er hat nicht mehr kämpfen müssen.«
    Drik nickt, obwohl seine Gesprächspartnerin das nicht sehen kann. Ihm sind die Tränen gekommen; dem Alkohol geschuldete Gefühlsduselei, denkt er, wenn man sich vorstellt, dass Hendrik den Tod akzeptiert hat, ja ihn vielleicht sogar als gerechte Strafe für ein vermeintliches oder auch tatsächliches Verbrechen begrüßte. Hendrik hat sich lieber in den Tod verabschiedet, als an seine Kinder und seine Enkelin zu denken. Drik weiß, dass es der Lauf der Dinge ist, dass alte Leute das Interesse verlieren, sich lösen, die Energie nicht mehr aufbringen. Er empfindet es als Beleidigung, als Zurückweisung.
    Hendrik liegt gekühlt in der Leichenhalle des Pflegeheims. Es läuft alles wie am Schnürchen. Mit der Krankenschwester verabredet Drik, dass er morgen Mittag, wahrscheinlich zusammen mit seiner Schwester, kommen wird, um sich von seinem Vater zu verabschieden.
    »Soll ich dann auch gleich den Bestattungsunternehmer kommen lassen? Dann können wir alles in einem abwickeln und Sie brauchen nicht ständig hin- und herzufahren.«
    Nette Frau, denkt Drik, mit praktischer Einstellung. Er verspürt jetzt auch eine große Unternehmungslust, er wird nachher gleich mal nach einem Testament suchen, ob er eine Erdbestattung oder kremiert werden will, mal sehen, ob Leida das weiß. Er hat sich schon aus seinem Sessel erhoben, als er sich von der Schwester verabschiedet.
    Hinter der Fassade der Tatkraft lauert eine schwermütige Abgeschlagenheit. Er muss mit aller Macht Bilder von seiner sterbenden Frau unterdrücken, von den Besprechungen mit dem Mann vom Bestattungsinstitut, einem betagten, sehr langsam sprechenden Sachwalter, der einen Ordner mit Fotos von dreißig verschiedenen Sargmodellen auf den Tisch legte. Nicht schon wieder, denkt er, warum muss ich wieder … Aber er hat schon den Mantel an und sein Fahrrad aufgeschlossen.
    Leida empfängt ihn gefasst und unerschüttert.
    »Das war abzusehen«, sagt sie. »Ich werde jetzt seine Sachen aussortieren, sonst müsst ihr euch damit herumschlagen, wenn ich sterbe. Das Zeug, das er im Heim herumstehen hat, kann man wegwerfen. Ich habe Tee für dich gemacht.«
    Drik zieht sein Handy heraus und versucht, Suzan zu erreichen. Peter nimmt ab, und er teilt ihm mit, was passiert ist.
    »Suzan ist noch im Krankenhaus, eine Operation, die sich in die Länge zieht. Ich werde es ihr sagen. Dann muss sie sich morgen eben freinehmen. Bist du jetzt bei Leida? Wie nimmt sie es auf?«
    »Leida hat als Erste davon gehört. Sie hat Roos angerufen, weil wir alle nicht zu erreichen waren. Aber sie hat es ihr nicht gesagt, oder,

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