Die Betäubung: Roman (German Edition)
eigentlich schon, dass ich Fortschritte mache. Ich arbeite. Ich habe eine Freundin. Das Verhältnis mit Suzan ist vorbei. Ich komme jede Woche hierher. Ich höre auf das, was du sagst. Was mache ich falsch?«
Soll ich sagen, dass er mir in keinster Weise zugesteht, auch nur ein Fitzelchen seiner Konflikte zutage zu fördern? Dass ich noch nie derartig zähen und derartig massiven Abwehrmechanismen begegnet bin? Soll ich sagen, was längst offensichtlich ist?
Allard tropfte die Nase. Drik reichte ihm die Box Papiertaschentücher und verachtete sich selbst. Ich lasse ihn im Stich, dachte er, und er kann sich das nur damit erklären, dass er wohl nichts taugt. So sorge ich für eine Wiederholung seines Traumas. Er sitzt da wie ein Vogelküken, er zittert, als friere er. Ich bin der Henker.
»Du hast recht. Ich höre auf, nicht ›wir‹. Dich trifft keine Schuld daran. Ich muss diese Entscheidung treffen, weil ich außerstande bin, die Therapie fortzusetzen. Ich kann es nicht. So einfach ist das.«
Und fang jetzt nicht von seinem Vater an, hat er gedacht, versuch dich nicht noch zwischen Tür und Angel an einer Deutung, was den Mann veranlasst haben könnte, seine Familie zu verlassen. Du musst diesen Jungen loswerden, er wirkt überall destruktiv, so unschuldig er auch aussieht.
Allard brach in Gelächter aus. Hämisch, triumphierend? Drik war unsicher, wusste nicht, was in ihm vorging. Jetzt, da er es nicht mehr als seine Aufgabe betrachtete, Allard zu analysieren, war er in Verlegenheit. Wie sollte er sich verhalten, wenn er kein Therapeut mehr war? Was war er denn überhaupt noch? Ein müder alter Sack in schmuddeligem Anzug, ein Versager, der sich dabei helfen lassen musste, den Mist zu beseitigen, den er verbockt hatte. Einer, der nach Alkohol gierte.
»Du kannst es nicht«, wiederholte Allard. »Gut. Das ist wenigstens ehrlich. Es ist eigentlich eine Erleichterung für mich, dass du auch mal versagst. Du richtest einen ziemlichen Schlamassel an. Als würdest du alle Infusionsschläuche gleichzeitig rausziehen. Soll der Patient doch sehen, wie er sich behilft. Wenn ich das bei meinen Patienten machen würde, hätte ich sofort eine Klage am Hals. Die Suspendierung! Und wenn es schlecht ausginge, einen Prozess wegen Totschlags. Es ist mir unbegreiflich, wie du es wagen kannst. Was dir einfällt, mich ein Jahr lang in Verwirrung zu bringen, um dann zu sagen, dass ich selbst weitersehen muss. Weil du es nicht kannst. Wo kann ich Klage einreichen?«
»Bei der Aufsichtskommission«, antwortete Drik prompt. »Oder beim BIG-Register. Das steht dir frei, das kannst du gern machen.«
»Sehen wir uns dann vor Gericht wieder?«
Er ist verrückt, hat Drik gedacht, er ist völlig durchgeknallt. Ich muss jetzt eisern bleiben. Er muss aus dem Haus, das ist das Einzige, was ich erreichen muss.
»Ich weiß nicht, wie diese Verfahren ablaufen. Es könnte sein. Oder auch nicht.«
Er verstummte, weil er nicht weiterwusste. Allard starrte ihn mit leisem Lächeln an. Jetzt, hat Drik gedacht, jetzt musst du zuschlagen, bloß nicht mehr warten.
»Es wird Zeit.« Er erhob sich. »Solltest du es allein nicht schaffen, lass dich von deinem Hausarzt an einen anderen Therapeuten überweisen. Ich verabschiede mich jetzt von dir.«
Auch Allard erhob sich. Er schien etwas unsicher auf den Beinen zu sein und schüttelte ungläubig den Kopf. Immer noch dieses eigenartige Lächeln und die laufende Nase. Weinte er?
Drik griff in seine Taschentücherbox und drückte dem Jungen ein paar in die Hand. Er öffnete ihm die Tür. Mit kleinen Schrittchen trottete Allard den Flur hinunter. Drik blieb direkt hinter ihm, öffnete um Allard herum die Haustür und wartete, bis der Junge draußen stand.
Was sagen? »Mach’s gut?«, »Auf Wiedersehen?«, »Halt die Ohren steif?« – das war alles gleichermaßen lächerlich und unangebracht.
Wie ein Zombie ging Allard durch den Vorgarten zur Straße. Drik schloss die Tür.
Als er jetzt seinen dritten Whisky hinunterkippt, läutet das Telefon erneut. Reflexartig nimmt er den Hörer ab und bedauert es schon, bevor er ihn ans Ohr hält.
»Onkel Drik?«
»Roos«, sagt er. »Warum rufst du an?«
»Du musst zu Leida. Sie hat eine Nachricht auf meinem Anrufbeantworter hinterlassen. Es ist was mit Opa, sagt sie. Und dass sie niemanden erreichen konnte. Ich habe sie noch nicht zurückgerufen. Ich habe gerade Besuch.«
Allard, denkt Drik. Der ist von hier gleich zu Roos gegangen. Der lässt sich
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