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Die Betäubung: Roman (German Edition)

Die Betäubung: Roman (German Edition)

Titel: Die Betäubung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Enquist
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Bewusstsein verstehen, das möchte ich.«
    »Ich hatte einen Scheißtag heute«, sagt Suzan. »Schwierige Assistenzärztin, ich kann einfach nicht mit dieser Frau. Da komme ich in den OP – ich hatte sie machen lassen –, und sie legt sich mit Harinxma an. ›Anästhesie, Tisch hoch‹, schreit er. Darauf lässt sie den Tisch bis an die Decke hochschießen. Er natürlich wütend, er ist nun mal ein kleiner Mann. Sie die gekränkte Unschuld.«
    »Ist doch aber auch unverschämt von so ´m Kerl!«
    »Ja, schon, aber man kann auch anders damit umgehen. Ihn mit seinem Namen ansprechen, fragen, was er möchte. Man kann ihn darauf aufmerksam machen, dass man selbst auch einen Namen hat, scherzhaft, was weiß ich. Anders. Ich bin zwar nicht so gut in diesen psychologischen Dingen, aber das sehe ich bei so einer Frau schon. Leider ist der Umgang damit nicht meine stärkste Seite.«
    »Wirklich? Du unterrichtest doch. Oder ist das auch nicht so dein Fall?«
    Suzan schenkt die Gläser wieder voll.
    »Doch, das macht mir wirklich Spaß. Aber das ist praktischer Unterricht: periphervenösen Zugang legen, zentralvenösen Katheter legen, intubieren. Dinge, in denen man Fingerfertigkeit gewinnen muss, damit man sich sicher fühlt. Je konkreter, desto besser. Ich vergesse nie, wie ich selbst mit der Nadel umzugehen gelernt habe, an einer Orange! Wie es ist, die Nadel durch die Schale zu drücken, den Widerstand zu spüren und dann den Freiraum, wenn du hindurch bist – als ob du selbst zur Nadelspitze wirst. Herrlich, geht mir immer noch so. Neulich war ich mit Kees zusammen im OP – wie der punktiert, großartig. Mühelos legt der einen Arterienkatheter, und schnell dazu. Währenddessen plaudert er mit dem Patienten. Das ist fast wie Ballett, alle Bewegungen fließen ineinander. Eine Augenweide.«
    Der Ober kommt mit dampfenden Tellern.
    »Meine Schüler sind noch Anfänger. Im ersten Jahr. Die wollen alles lernen, sind richtig begierig. Was ich auch vormache oder erzähle, sie saugen es auf. Mit denen, die schon weiter sind, tue ich mich schwerer, die müssen selbstständig werden, aber wie soll ich das anstellen? Wenn ich ihnen zu sehr auf die Finger schaue, werden sie böse, wenn ich ihnen zu viele Freiheiten lasse, fühlen sie sich verloren. Ich finde nicht die rechte Balance.«
    Simone schaut von ihrem Teller auf. »Wenn man dich so reden hört, könnte man meinen, du hast pubertierende Kinder zu erziehen. Es ist schwierig, klar. Aber die im fünften Jahr der Weiterbildung, die fast fertig sind, mit denen kann man doch reden, oder? Beratschlagen? Das sind einfach Kollegen.«
    »Ich kann es nicht«, sagt Suzan. »Ich kann das nicht mal mit meiner eigenen Tochter. Die hockt stur in ihrer Studentenbude. Sie ist nicht glücklich, glaube ich. Aber was kann ich nur machen? Wenn ich mit einer Tasche voller Einkäufe komme, sieht sie mich so verächtlich an, dass mich gleich mein ganzer Mut verlässt. Sind deine Jungs auch so?«
    »Schlimmer. Aber ich nehme mir das nicht so zu Herzen. Zwillinge sind in der Hinsicht einfacher, die haben ja immer den anderen, da brauchst du dir keine Gedanken zu machen, dass sie einsam sein könnten. Seit ich in der Schmerzambulanz arbeite, habe ich auch mehr Zeit für sie, da brauche ich mich nicht mehr vor Freundlichkeit zu überschlagen, wenn wir uns sehen. Diese unregelmäßigen Schichten, die vielen Dienste – das hat mich verrückt gemacht.«
    »Vermisst du sie nicht, die normale Arbeit?«
    Simone legt ihr Besteck hin und wischt sich mit der Serviette über den Mund.
    »Das war die vernünftigste Entscheidung, die ich je gefällt habe. Und mit Berend verstehe ich mich gut.«
    Suzan unterbricht sie. »Einfach nur gut oder gefährlich gut?«
    »Gut, habe ich gesagt«, sagt Simone streng. »Fachlich ist er ein As, er ist geistreich, und er ist flexibel. Die Abteilung ist richtig klasse geworden. Auch die längeren Patientenkontakte finde ich schön, du betreust jemanden monate- oder sogar jahrelang, du lernst die Menschen richtig kennen. Und bei uns sterben sie auch nicht dauernd unerwartet, das ist sehr angenehm. Man weiß vorher, dass es so weit ist. Was du machst, ist eigentlich ganz schön schwer. Wenn du jemanden narkotisierst, bist du für seine lebenswichtigsten Funktionen verantwortlich. Ich war mir dessen immer viel zu sehr bewusst. Atmung, Blutdruck, Kreislauf, Körpertemperatur, das alles übernimmst du, und wenn etwas schiefgeht, ist es deine Schuld. Du nimmst etwas auf dich, was du

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