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Die Betäubung: Roman (German Edition)

Die Betäubung: Roman (German Edition)

Titel: Die Betäubung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Enquist
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Arm unter den seines Freundes. Dicht aneinandergedrückt tapern sie den Gehweg entlang wie ein betagtes Ehepaar.
    »Ich bin froh, dass du wieder aktiv bist«, sagt Peter. »Dass das Schlimmste überstanden ist. Wer weiß, vielleicht lernst du noch mal jemanden kennen. Eine neue Partnerin, meine ich. Auf lange Sicht. Du bist erst fünfzig. Dass Suzan wieder auf dem Posten ist, ist auch ein Segen. Allmählich normalisiert sich alles wieder. So traurig die Gegebenheiten auch sind. Der Verlust.«
    Neue Partnerin, denkt Drik, wie kommt er bloß darauf? Das ist das Letzte, woran ich denken würde. Aber es kommt vor, regelmäßig sogar, vor allem bei Männern, dass sie es einfach nicht aushalten, allein zu sein. Nach drei Monaten sind sie schon wieder bei einer Internetbekanntschaft oder einer geschiedenen Kollegin eingezogen. Suzan erzählte von einem Chirurgen, der nach dem Tod seiner Frau in Thailand Erholung suchte und mit einem gefälligen Frauchen zurückkehrte, das kein Wort Englisch sprach. Man sollte doch meinen, dass darüber Zeit vergehen muss, Zeit zum Vermissen, zum Trauern, zum Wütendsein. Allein. Ist das ein überholter psychoanalytischer Gedanke? Vielleicht ist es ja tatsächlich vernünftiger, den Deckel über dem ganzen Elend zuzumachen und nach vorn zu schauen. Auf zu neuen Ufern. Denn ein Verlust rührt immer auch frühere Verluste wieder auf, und es fragt sich, ob du die Kraft hast, dem standzuhalten.
    Ich weiß nichts, denkt Drik, ich erinnere mich nicht wirklich an meine Mutter. Müsste ich eigentlich, ich war vier. Ein Bild habe ich vor Augen: Sie steht in einem Sommerkleid im Garten, lachend, schwanger, du würdest am liebsten zu ihr hinlaufen, du bist dir sicher, dass sie sich bücken und dich in die Arme nehmen wird. Du wirst ihre Haare riechen, ihren Lippenstift. Das ist keine Erinnerung, das ist ein Foto, schwarzweiß. Und eine Traumvorstellung, die ich daraus gemacht habe. Danach ist alles in grauen Nebel gehüllt.
    Der gleiche Nebel kam in den letzten Monaten von Hannas Leben auf. Es hat keinen Sinn, sich da hineinfallen zu lassen, ich muss mich dagegen wehren, mich an gut Verwurzeltem festhalten, an Peter, an Suzan. Roos, der Praxis, meinem Buch. Alkohol ist schlecht, den muss ich meiden. Alle Hände voll zu tun. Keine Energie für eine neue Frau. Nein.
    An seinem Brustkorb vibriert etwas. Gedämpft ist das Klingeln eines Handys zu hören. Sie bleiben stehen.
    »Ist das meins? Oder deins?«, fragt Drik. Vorsichtig knöpft er seinen Mantel auf und tastet die Innentaschen ab. Peter tut das Gleiche, etwas zielstrebiger, aber gleichermaßen erfolglos.
    »Herrgott noch mal, wo hab ich denn das Ding?« Peter fasst in seine Hosentasche und fällt gegen Drik. Der hat sein Handy gerade gefunden und hält es triumphierend in die Höhe. Durch den Zusammenstoß fliegt es ihm aus der Hand und knallt aufs Pflaster. Er bückt sich. Alles fällt mir runter. Ich bin gezwungen, auf dem Boden herumzukrabbeln wie ein kleines Kind, das ohnmächtig sein kaputtes Spielzeug zusammensucht.
    Er richtet sich auf und kickt sein Handy in den Rinnstein. Peter hat inzwischen seins hervorgefischt und drückt es ans Ohr. Er schüttelt den Kopf.
    »Zu spät. Dieses Theater immer. Ohne die Dinger ging es doch früher auch. Komm, wir gehen weiter.«
    Während Peter das Handy in seine Tasche steckt, fängt es erneut an zu klingeln. Konzentriert drückt er auf die Empfangstaste.
    »Ja?« Er verstummt, hört zu.
    »Ich komme«, sagt er.

8
    Zwei Operationssäle sind immer für unvorhergesehene Eingriffe reserviert. In einen davon fahren Suzan und Winston – er ist im fünften Jahr seiner Facharztausbildung und macht heute den Zwölfstundendienst mit ihr – eine wimmernde Frau, bei der in der Nacht wegen eines akuten Magendurchbruchs eine Notoperation vorgenommen wurde und nun der Verdacht besteht, dass die Übernähung die Perforation nicht ausreichend abschließt. Der Bauch muss erneut aufgemacht werden, das Ganze dürfte eine zeitraubende Prozedur werden. Suzan versetzt die Frau rasch in Narkose, die OP-Schwester legt einen Blasenkatheter. Jetzt heißt es auf den Chirurgen warten.
    Suzans Piepser ertönt. Sie geht an das Telefon, das an der Wand hängt. »Lagrouw, Anästhesie.« Während sie zuhört, schweift ihr Blick durch den OP: Winston am Narkosegerät, Anästhesieschwester Leila beim Herrichten der Medikamente auf einem Tablett.
    »Ich gehe kurz in den Aufwachraum, einen Zugang legen«, verkündet sie. »Ihr kommt hier

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