Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Betäubung: Roman (German Edition)

Die Betäubung: Roman (German Edition)

Titel: Die Betäubung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Enquist
Vom Netzwerk:
zugemacht wurde, der Lärm im Aufwachraum störte ihn. Zwischen den Schocks hielt er dem Mann die Sauerstoffmaske aufs Gesicht und sorgte dafür, dass der Patient beatmet wurde. Ein Schauerstück. Die Schwester wollten sie nicht mehr dabeihaben, die redete zu viel. Der Psychiater drehte an den Knöpfen herum und kündigte den nächsten Versuch an. Man sah, wie sich die Muskeln des Patienten spannten, obwohl das Zeug gespritzt worden war. Da wurde eine gewaltige Kraft freigesetzt. Sein Gesicht verzerrte sich, er bekam Furchen und zog die Stirn kraus. Er sah wütend aus! Der Psychiater ließ den Schockknopf gar nicht mehr los, es dauerte ewig.
    Als sie fertig waren, fischten sie ihm den Beißschutz zwischen den Zähnen raus – der muss rein, damit er sich die Zunge nicht abbeißt –, und er konnte wach werden. Mitsamt Bett fuhren wir ihn in den Aufwachraum. Veenstra sagte zu mir, dass ich ein Auge auf ihn haben sollte, es sei ein heftiger Schock gewesen. Ich sollte darauf achten, ob er desorientiert war. Und den Blutdruck messen. Sie nahmen sich den nächsten Patienten vor. Ich saß neben meinem Patienten auf einem Hocker und bildete mir ein, dass er mich anschaute. Aber eigentlich sah ich keine Veränderung bei ihm.«
    »Wie fandest du es dort?«
    »Anders. Die Patienten liegen in Betten und hängen an Schläuchen. Sie sind größtenteils nicht bei Bewusstsein. Es wurde jemand hereingefahren, der direkt aus dem OP kam. Dieser Surinamer zog die Vorhänge um das Bett zu, er ist offenbar der Oberpfleger im Aufwachbereich, und eine Anästhesistin machte die Übergabe. Ganz schnell, was passiert war, welche Medikamente gegeben werden mussten und wann, das war alles in anderthalb Minuten über die Bühne. Sie schrieb noch etwas auf und nahm sich etwas aus diesem Nascheimer, und dann verschwand sie wieder. Ganz anders.«
    »Das klingt, als sage dir das zu.«
    Allard schweigt. Drik blickt zur Uhr, die, zwischen Pflanzen versteckt, schräg hinter Allards Kopf im neuen Bücherregal steht. Noch zehn Minuten.
    »Der Psychiater, der ist der Henker«, sagt Allard laut. »Er foltert so einen Mann. Das ist Misshandlung. Das widerstrebt mir, so will ich nicht werden. Die Menschen, die bei uns aufgenommen werden, sind doch total am Ende. Man muss sicherstellen, dass sie nicht Selbstmord begehen, und nimmt ihnen Gürtel und Schnürsenkel ab. Im Treppenhaus ist ein Fangnetz gespannt. Das regt doch womöglich ihre Phantasie noch an, wenn sie mal kurz nicht daran gedacht haben! Gruselig ist das. Aussichtslos. Ein tiefes, schwarzes Loch. Und was machen wir? Wir stopfen ihnen die gräulichsten Medikamente rein, pures Gift, das in den alten Körpern stecken bleibt, weil sie nicht trinken, da findet keine Flüssigkeitszirkulation statt, das Zeug verteilt sich nicht. Und wenn die Vergiftung nicht den gewünschten Zweck erfüllt, müssen sie in den Bus, zu den Stromstößen. Widerlich.«
    »Du willst nicht zu den Henkern gehören. Nicht gezwungen sein, hilflosen Menschen so aggressiv zu Leibe zu rücken.«
    »Genau«, sagt Allard. »So ist es.«
    Die Stille fühlt sich lastend an. Die Zeit ist fast um, denkt Drik.
    »So ein Veenstra, der macht wenigstens was Positives. Der sorgt dafür, dass die Leute keine Schmerzen haben, dass sie weiteratmen, wieder zu Bewusstsein kommen. Das ist nützlich, davon haben die Leute was.«
    »Der Anästhesist überlässt das Henkerswerk anderen«, sagt Drik. »Dank seiner Betäubung kann der Psychiater Schocks anwenden und der Chirurg schneiden. Wenn du im medizinischen Bereich arbeitest, entgehst du dem nicht: Du wirst mit Eingriffen konfrontiert, die Schmerzen bereiten. Für dich ist das offenbar gleichbedeutend mit Aggressivität. Das müssen wir uns anschauen. Warum dich Aggression derart beängstigt, meine ich.«
    Allard springt auf.
    »So läuft es hier ständig«, ruft er aus. »Ich erzähle etwas, was mich beschäftigt, etwas, was wichtig für mich ist und mit meiner Berufswahl zu tun hat, und die einzige Reaktion, die ich darauf bekomme, ist: Du hast krankhafte Angst vor Gewalt! Was bringt mir das?«
    Er rauscht grußlos aus dem Zimmer. Drik hört die Haustür schlagen. Er zieht Allards Akte hervor und beginnt zu schreiben.

12
    Suzan tritt durch die große Drehtür am Haupteingang und steht unvermittelt in der Sonne. Ein strahlender Vormittag. Von allen Seiten streben Menschen auf das Krankenhaus zu, Handy am Ohr, Tasche über der Schulter. Alle rüsten sich für einen langen Arbeitstag. Sie darf

Weitere Kostenlose Bücher