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Die Betäubung: Roman (German Edition)

Die Betäubung: Roman (German Edition)

Titel: Die Betäubung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Enquist
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dass ihre Freundin sich umbringen wollte. Gib ihr etwas Zeit. Häng dich da nicht so rein. Suzan ist stärker, als du denkst.«
    Ich bagatellisiere seine Angst. Ich will, dass er jetzt mal mir zuhört. Dass er mich wegen diesem Allard beruhigt. Aber dazu müsste ich zuerst meine Beunruhigung äußern, und das will ich offenbar gar nicht. Stünden wir doch noch auf dem Platz! Ich mache mich jetzt auf den Weg. Radfahren.
    Zu Hause packt er seine Tasche aus und wirft die Tennissachen in die Waschmaschine. Er trennt nicht mehr zwischen weißer und bunter Wäsche, sondern stopft neuerdings alles zusammen hinein, bis die Trommel voll ist. Was verfärbt herauskommt, wirft er weg. Einfach mit allem kurzen Prozess machen, keinen Gedanken daran verschwenden. Auf der Toilette schaut er in den Spiegel. Alter Mann mit rot verbranntem Gesicht. Sieht man ihm an, dass er allein ist? Dass er seinen Kram nur mit Mühe im Griff behält? Dass er mit Gefühlen totaler Inkompetenz zu kämpfen hat? Er knallt die Toilettentür zu und stampft ins Sprechzimmer. Die Patientenakte von Allard liegt auf dem Tisch, er wollte noch kurz hineinschauen, schiebt sie aber ungelesen in die Schublade. Dem Patienten unbefangen begegnen, das ist am besten. Er lehnt sich auf seinem Schreibtischstuhl zurück. Schöne Vorhänge, das hat Roos gut gemacht. An der Einrichtung des Zimmers wird es nicht liegen, die strahlt Professionalität aus. Die Klingel. Er springt auf, schiebt den Stuhl ordentlich an den Tisch und geht zur Tür.
    Jedes Mal, wenn er Allard die Hand geben will, hat er einen Moment Angst, dass der Junge ihm den Händedruck verweigern könnte. Auch jetzt wieder. Das ist absurd. Allards Gesichtsausdruck ist heute freundlich, und er tritt ohne Zögern ein. Drik schließt die Türen. Dann sitzen sie einander gegenüber, Patient und Therapeut. Stumm.
    Nach einiger Zeit – nicht zu viel – sagt Allard, dass er etwas erlebt habe, wovon er erzählen wolle. Aber wo anfangen?
    »Rede einfach, wie es dir in den Sinn kommt.« Während Allard spricht, tut es Drik schon wieder leid, dass er den Mund aufgemacht hat. Du brauchst dem Jungen keine Brücken zu bauen. Lass ihn doch stocken und stolpern, das macht nichts, umso größer der Informationsgehalt. Du lässt dich in die Rolle des netten Vaters drängen. Oder du möchtest, dass er dich freundlich und hilfsbereit findet. Das musst du registrieren. Jetzt hör zu und mach die Augen auf. Er schlägt die Beine übereinander und drückt den Rücken gegen die Sessellehne.
    »Geschlossene Gerontopsychiatrie, da bin ich jetzt. Keine Demenzen, sondern die gängigen Bilder: Stimmungslabilität, Psychosen, Angst.«
    Drik nickt. Weiter geht er nicht. Er muss an sich halten, aber seine Hände liegen entspannt auf den Armlehnen.
    »Diese Depressionen, die sind schlimm. Schwer zu diagnostizieren, manchmal stellt sich auch heraus, dass der Betreffende doch eher apathisch und desorientiert ist. Dann schleusen wir ihn in die Psychogeriatrie weiter, denn das sind Zeichen von Demenz. Nimmt man an. Oder wir, muss ich jetzt sagen.«
    Er stößt ein gekünsteltes Lachen aus. Stille.
    »So ein alter Mensch, der hat so viel erlebt. Und dann komme ich mit meiner Fragenliste. Er reagiert nicht, sieht mich nicht mal an. Da komme ich mir ziemlich blöd vor, mit meinem Notizblock auf den Knien. Sie verstehen mich auch oft nicht. Teilnahmslos. Oder schwerhörig natürlich. Manchmal regen sie sich plötzlich furchtbar auf, und ich werde weggejagt. Das Pflegepersonal bietet keine Unterstützung. Die lachen mich aus.«
    Er fühlt sich bloßgestellt und verurteilt, konstatiert Drik. Angst ist die Richtschnur. Die Wutausbrüche seiner Patienten machen ihm Angst, weil sie seine eigene versteckte Wut widerspiegeln, und davon will er nichts wissen. Leugnen, bagatellisieren, projizieren – und wie sie alle heißen, die Abwehrmechanismen. Er fährt sie alle auf.
    »Wenn diese schweren Depressionen nicht medikamentös zu beheben sind, bleibt als äußerstes Mittel nur die Elektroschocktherapie. Unsere Abteilung betreibt Forschung auf dem Gebiet, daher wird sie relativ schnell verordnet. Haben Sie das mal miterlebt?«
    »Das ist lange Zeit praktisch verboten gewesen«, sagt Drik. »Als ich in der Ausbildung war, betrachtete man die Methode als barbarisch. Was man stattdessen mit den melancholischen Patienten machen sollte, konnte aber auch niemand sagen. Nein, ich bin nie dabei gewesen.«
    »Es hilft. Keiner weiß, warum. Dienstags fahren sie in

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