Die Betäubung: Roman (German Edition)
Zeit?«
Peters Blick ist erwartungsvoll, ja fast ängstlich. Er scheint richtig verlegen zu sein, denkt Drik. Das ist es also. Suzan. Seit dem Abend, als Peter sie bei ihrer Weihnachtsfeier anrufen und mit ihr ins Krankenhaus fahren musste, weil Simone eingeliefert worden war, ist sie nicht mehr die Alte.
»Weißt du, sie war davon überzeugt, dass Simone einen Selbstmordversuch unternommen hätte. Taselaar hat auf der Intensivstation mit uns geredet, unheimlich nett und freundlich, hat zu erklären versucht, was passiert war. Herzinfarkt. Simones Mann hatte sie gefunden, reiner Zufall, er war schon aus dem Haus gegangen, musste aber noch mal zurück, um seine Lesebrille zu holen. Da lag Simone im Schlafzimmer, völlig weggetreten.
Na gut, wir standen also da, Suus zitternd und total mit den Nerven runter, ich beunruhigt und irgendwie fehl am Platze, und Taselaar redete und redete. Von Thrombolyse und koronarer Herzkrankheit. Dass sie unter Schmerzmitteln stehe, dass ein Stent besser sei als irgendetwas anderes, und was weiß ich noch alles. Es drang einfach nicht zu Suzan durch, sie reagierte nur, als er das mit den Schmerzmitteln erwähnte. Welche Dosis, fragte sie, und wie Simone darangekommen sei. Ob ein Abschiedsbrief gefunden worden sei und warum niemand sie davon abgehalten hätte. Da merkte Taselaar, dass etwas nicht stimmte.«
Drik, der die Geschichte in groben Zügen längst kennt, horcht mehr auf die Aufgeregtheit von Peters Stimme als auf das, was er sagt. Peter ist geschockt, denkt er, noch immer. Seine nüchterne, klarsichtige Frau hat sich von einer Angstphantasie irreleiten lassen. Ist das eine Nachwirkung der stressbelasteten Zeit oder etwa der Vorbote einer Dekompensation? Er verspürt eine leichte Unruhe im Magen. Um halb elf muss er auf sein Fahrrad steigen, um rechtzeitig für seine Sitzung mit Allard Schuurman zu Hause zu sein. Heimlich schaut er auf seine Armbanduhr. Zehn, noch Zeit genug.
»Es dauerte ewig, bis der Groschen fiel. Wir saßen inzwischen in einer Ecke zwischen Aktenschränken, Taselaar lief auf und ab, um uns mit Tee zu versorgen, und zitierte dabei aus dem Handbuch für Herzkrankheiten. Dann ging sein Piepser, und er musste weg. Ich muss sie irgendwie von diesem Wahn abbringen, dachte ich, und ich war drauf und dran, ihr ins Gesicht zu schlagen. Tja, Machtlosigkeit, das ist schon so was. Ich habe streng auf sie eingeredet. Ihr in die Augen geschaut. Langsam und deutlich gesagt, dass Simone nicht Selbstmord begehen wollte. Ein Infarkt, ein Herzleiden, sagte ich, guck dich doch um, wir sind hier auf der Herzüberwachung. Da ist sie dann in Tränen ausgebrochen.«
Drik spürt, dass er nervös wird. Unglaublich, dass ihm so vor einer Therapiesitzung graut. Denn das ist der Grund. Er darf gar nicht daran denken, dass er demnächst wieder Allard gegenübersitzt. Warum eigentlich? Er kann es einfach nicht benennen. Der Junge, als den Drik ihn jetzt sieht, gibt ihm auf subtile Weise zu verstehen, dass er von dieser nutzlosen Therapie nichts hat, dass er die Interpretationen, die Drik liefert, konstruiert und lächerlich findet, dass er Psychotherapeuten und ihr Fach zutiefst verachtet. Das müsste vertrautes Terrain sein, es ist bei weitem nicht das erste Mal, dass Drik beschimpft, verdächtigt, verhöhnt wird. Aber diesmal ist es anders, denkt er, ich bekomme es nicht in den Griff, und das beängstigt mich. Was ich auch sage, womit ich seinen Hohn auch in Zusammenhang bringe, es hilft rein gar nichts. Alles gleitet an dem Jungen ab. Entweder sagt er, dass ich es völlig falsch sehe und nichts begreife, oder es ist großartig, und er hat noch nie so etwas Erhellendes gehört – nur meint er das überhaupt nicht ernst, sondern es ist nur der Anlauf zur nächsten Schelte. Ich müsste ihn bei der Intervision besprechen, aber es ist mir peinlich. Ich würde mich bei meinen Kollegen blamieren. So ein Unsinn, das kann mir doch egal sein! Schluss mit dieser Grübelei. Überleg dir lieber, was du Peter sagen kannst. Etwas Relativierendes, etwas, das ihn beruhigt.
Der Kantinenwirt bringt ihnen ungefragt noch einen Kaffee. Die Sonne gewinnt an Kraft, Drik spürt es im Gesicht.
»Mach dir nicht solche Sorgen. Suus hat einen Verlust erlitten, als Hanna starb. Der rührt frühere Verluste auf, wie du weißt. Da ist es doch kein Wunder, dass sie Angst davor hat, noch weitere Menschen zu verlieren, oder? Deshalb verwechselt sie eine eingelieferte Patientin mit Roos, und deshalb denkt sie,
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