Die Betäubung: Roman (German Edition)
Aber eigentlich bin ich ganz deiner Meinung, dass es ein unangenehmes und risikoreiches System ist.«
»Was machen wir jetzt?«
Drik überlegt. Wenn er sich nicht an die Vorschriften hält, macht er sich strafbar. Das wäre ein »Wirtschaftsdelikt« unter Mitwisserschaft des Patienten. Kann man sich mit einem Patienten darauf einigen, gemeinsam das Gesetz zu übertreten? Was würde das für die therapeutische Beziehung bedeuten? Der Patient könnte sich einbilden: Dieser Mann hat so viel für mich übrig, dass er zu einer Straftat bereit ist. Oder: Er hält sich nicht an die Vorschriften, da kann es hier wohl nicht ganz koscher sein. Der Patient könnte den Therapeuten erpressen. Der Therapeut könnte seinen Unmut über dieses Theater in Wut auf den Patienten ummünzen.
»Angehende Psychiater sind nicht die Einzigen, die eine Lehrtherapie in Anspruch nehmen können. Ich habe Hausärzte in meiner Praxis, Fachärzte verschiedener Disziplinen, Kollegen. Bei allen schreibe ich auf die Rechnung: Lehrtherapie. Das mache ich auch bei dir. Kannst du damit leben?«
Allard nickt. Er rutscht auf die Stuhlkante vor und sieht Drik eindringlich an.
»Alles muss geheim bleiben. Sonst wagt man ja gar nichts mehr zu erzählen. Ich habe übrigens noch nie eine Patientenakte gesehen, die nicht von Fehlern strotzte. Die Angaben sind zwanzig Jahre alt, wurden falsch notiert und nie korrigiert, oder sie betreffen einen ganz anderen Patienten. Es ist schlicht Irreführung zu suggerieren, dass die Lösung aller Probleme darin läge, den ganzen Kram öffentlich zugänglich zu machen. Müssen Sie meinem Ausbildungsleiter einen Bericht über mich zukommen lassen?«
»Nein. Ich tue gar nichts. Du bestimmst selbst, wann du anfängst und wann du aufhörst. Das ist alles. Du kannst hier sagen, was du willst.«
»Die waren nicht erfreut, dass ich dort aufhöre«, sagt Allard. »Die dürfen den Weiterbildungsplatz ja nicht einfach mit jemand anderem besetzen, also haben sie jetzt vier Jahre einen Arzt zu wenig. Ich düpiere meine Kollegen, haben sie gesagt. Ob ich mir das nicht noch einmal ernsthaft überlegen will. Der Ausbilder tat zwar ganz freundlich und sagte, das komme häufiger vor, es sei eben sehr gewöhnungsbedürftig und dauere seine Zeit, bis man erkennt, wie großartig der Beruf ist. Ich bin eisern geblieben.
Meine Supervisorin war stinkig. Fragte, ob es ihre Schuld sei, ob sie mich nicht gut genug betreut habe. Ich erwartete ja schon sehr viel Aufmerksamkeit, sagte sie. Das sind die Richtigen, erst so tun, als ob sie sich selbst die Schuld geben, und mir dann vorhalten, ich verlange zu viel! Auf so ein Gespräch hatte ich keinen Bock. Ich habe ihr einen Strauß Blumen gekauft, da konnte sie nichts mehr sagen. Es ist mir eigentlich auch egal, was sie sagen. Ich bin so erleichtert, dass ich diese Leute nie mehr wiederzusehen brauche. Meine Mutter meinte, dass sie meine Entscheidung gut findet. Als sie noch Streifendienst gemacht hat, sagte sie, war sie oft in der Notaufnahme. Das seien zupackende Menschen dort, die hätten wirklich was drauf. Jemanden reanimieren oder am Leben erhalten. Ich fange Montag an.«
Als Allard weg ist, macht Drik das Fenster auf. Mit einer Tasse Kaffee in der Hand wandert er im Zimmer umher. Er ist ganz zufrieden, der Junge läuft ihm nicht davon, vorerst. Es muss also etwas geben, was ihn an die Therapie bindet. Er war damit einverstanden, die Behandlung weiterhin »Lehrtherapie« zu nennen; vielleicht bedeutet das ja doch, dass er etwas lernen, etwas verändern möchte? Wie auch immer, es ist positiv, dass er bleiben möchte.
Drik schreibt einiges in die Akte. Das Telefon klingelt, Suzan fragt, ob er heute Abend zum Essen kommt. Ja, gern, denkt Drik im ersten Moment, dann kann ich mal von diesem Jungen erzählen, er kommt ja jetzt zur Weiterbildung auf Suzans Abteilung, ich muss sie vielleicht vorwarnen – doch bevor er eine Antwort formuliert hat, wird ihm bewusst, dass er, gerade weil Suzan Allard nächste Woche kennenlernen wird, gar nichts sagen kann. Mit einem Mal sieht er schwierige Abende auf sich zukommen, Abende, da er lauter Fragen zur Abteilung, zu den Ärzten, den Abläufen haben und keine Antwort bekommen wird. Abende, da er Suzans Geschichten lauschen und dabei die ganze Zeit daran denken wird, dass er diese Kenntnisse in Gesprächen mit Allard nicht offenbaren darf. Es verspricht kompliziert zu werden.
»Weißt du, Suzan, ich möchte versuchen, wieder etwas mehr auf eigenen Beinen
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