Die Betäubung: Roman (German Edition)
sich Suzan zu und erzählt, dass ein neuer Assistent dazukomme, ein unerfahrener, aber motivierter junger Mann. Habe nie eine Wahlfamulatur in der Anästhesiologie gemacht, müsse also bei null anfangen.
»Das wäre doch eine schöne Aufgabe für dich, nicht? Würdest du ihn in den ersten Monaten betreuen und mal schauen, ob er sich für unser Fach eignet?«
15
In seinem immer lauter klopfenden Audi rast Drik über die Landstraße. Die geraden Alleebäume am Straßenrand brechen das Sonnenlicht mit einem Stroboskop-Effekt, von dem man epileptische Anfälle bekommen kann, wenn man eine Veranlagung dazu hat. Hinter den Pappeln erstrecken sich öde Felder. Kein Vieh zu sehen, auch nichts Angepflanztes, aber hie und da eine rechteckige Scheune aus rostigem Stahlblech. Was heißt da Arbeitsplätze in der Landwirtschaft? Hier ist kein Mensch.
Driks Verlag hat seinen Sitz in der Provinz, ein Flachbau in einem Gewerbegebiet. Die Anfahrt dorthin dauert zwar etwas länger, aber dafür hat man als Autor die Gewissheit, dass die Gewinne des Verlags nicht restlos in ein Grachtenhaus mit Marmorfluren fließen. Wohin dann? Öffentlichkeitsarbeit, so der Verleger. Gratisexemplare. Eine junge Dame, die den Redaktionen wissenschaftlicher Zeitschriften Dampf macht, dass sie das Buch besprechen. Vielleicht auch mal eine Anzeige in so einem Blatt. Eine sorgfältig geführte Website. Mehr als die üblichen zehn Prozent Beteiligung könne er leider nicht bieten. Die Hochzeiten des gedruckten Buchs seien vorbei, die gesamte Branche zittere. In dem Vertrag, den Drik gerade unterschrieben hat, steht ein Passus über die Verbreitung des Textes in elektronischer Form, gegen armselige fünfzehn Prozent.
»Du hast ja glücklicherweise in mehreren Berufsfeldern eine ausgezeichnete Reputation«, sagte der Mann. »Da können wir mühelos tausend Exemplare absetzen. Psychiater, klinische Psychologen, Psychotherapeuten diverser Richtungen und Schulen. Großartig. Und es ist so eingängig geschrieben, dass ich es sogar bei Hausärzten versuchen werde.« Er rieb sich die Hände und trank mit hörbarem Schlürfen von seinem Kaffee.
Drik unterdrückte ein angewidertes Schaudern. Das Buch lag umgedreht auf dem protzigen Glastisch. Den hinteren Deckel füllte ein Foto von ihm selbst aus, mit einigen sorgfältig ausgewählten Zitaten aus Rezensionen zu früheren Werken darunter.
Er sah wirklich sehr vertrauenerweckend darauf aus. Nicht fröhlich, aber auch nicht sorgenvoll oder gar schwermütig. Wie jemand, der im Leben stand und viel mitmachte, ohne darüber den Mut verloren zu haben. Der sich in Oberhemd und Jackett wohlfühlte, die nicht nagelneu, aber auch bestimmt nicht abgewetzt zu sein hatten. Frisch aus der Reinigung eigentlich. Informell, ohne Krawatte, aber nicht zu häuslich. Bloß kein Pullover. Etwa drei Wochen vor dem Fototermin beim Friseur. Der Mann auf dem Buch blickte den Leser freundlich an. Nicht aufdringlich. Als wartete er geduldig darauf, dass man ihm seine Geheimnisse erzählen würde. Als hätte er Freude daran, sich tiefe, intelligente Gedanken zu machen. Dieser Mann brauchte keine Rechtfertigung für sein Dasein, dieser Mann konnte sich sehen lassen, ohne eitel zu wirken. Er hatte sich fotografieren lassen, weil das dazugehörte, weil der Leser ein Recht darauf hatte zu erfahren, wie der Autor aussah; so seine Meinung, das sah man ihm an. Es ging ihm nicht darum, sich zu produzieren und in seiner Wichtigkeit zu sonnen.
»Gutes Foto«, sagte der Verleger. »Tolle Arbeit, der Junge versteht was von seinem Fach, sind froh, dass wir ihn haben.«
Drik erinnerte sich, woran er gedacht hatte, als das Foto gemacht wurde. Eier, Butter, Tomaten, solche Schwammtücher zum Abwischen von Spüle und Arbeitsplatte, Bier und Mülltüten. Er hatte die Einkaufsliste visualisiert, um nichts zu vergessen. Sobald dieser Heini mit seinen Lampen, Schirmen und Apparaten abgehauen war, würde er zum Supermarkt stürmen.
»Die heutige psychodynamische Theorie liefert die umfänglichste Erklärung für die Entwicklung der Persönlichkeit und verhilft Therapeuten der verschiedensten Disziplinen zu Einordnung und Verständnis ihrer Interventionen. Überzeugend berichtet Drik de Jong von seinen jahrelangen Erfahrungen in der Psychotherapie.«
Auf einem übersichtlichen, geraden Straßenabschnitt setzt er zum Überholen eines Traktors mit einem Anhänger voller Zuckerrüben oder Blumenzwiebeln an. Die Wand seines Sprechzimmers sah auf diesem
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