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Die Betäubung: Roman (German Edition)

Die Betäubung: Roman (German Edition)

Titel: Die Betäubung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Enquist
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was man zu tun hat. Die Leute machen sich nicht wichtig, reden nicht verschwommen daher. Das ist kein Tummelplatz für Machtspielchen und Eitelkeiten, dort wird ganz einfach gearbeitet. Man blickt nicht auf die Assistenzärzte herab, sondern hilft ihnen! Ich habe einen schon fortgeschritteneren Assistenzarzt zum Mentor bekommen, der mir alles zeigt. Und ich habe eine Supervisorin, die mich in der Probezeit, in den ersten drei Monaten betreut. Was für eine Frau! Alle haben dort den gleichen blauen Anzug an, aber sie ist mir schon gleich morgens bei der Übergabe aufgefallen. Gute Figur. Wilde Mähne. Große graue Augen. Und so ein liebes Gesicht. Geistreich ist sie auch, wir haben heute viel gelacht. Zu den Patienten sagte sie immer: ›Das ist mein Kollege, Doktor Schuurman.‹ Einfach nett. Alles, was ich nicht weiß oder kann, erklärt sie mir. Dann lässt sie es mich versuchen, und sie ist froh, wenn ich es hinkriege! Ich freue mich schon auf morgen, dann kann ich wieder den ganzen Tag mit ihr zusammen sein. Suzan heißt sie.«
    Der Seufzer, den Drik nun nicht mehr unterdrücken kann, kommt aus tiefster Seele.

16
    Ein unerwartet warmer Septemberabend. Die Terrassentür steht offen.
    »Soll ich sie zumachen, wenn wir essen?«, fragt Peter. Suzan zuckt die Achseln. Sie stellt zwei Töpfe auf den Tisch. Dann geht sie nach oben, um sich einen Pullover und Socken zu holen.
    »Kalt«, sagt sie, als Peter sie fragend ansieht. Er hat sich aufgetan: grüne Bohnen, eine Kartoffel.
    »Shit, das Steak.« Gas wieder an, Bratpfanne, Butter, Kampf mit der Plastikverpackung, ein Fluch, das Zischen von heißem Fett.
    Dann sitzen sie einander gegenüber – mit lauwarmen Bohnen und rohem Fleisch. Peter lacht.
    »Du bist genervt. Die Arbeit oder etwas anderes?«
    Suzan brummt.
    »Hat nichts mit dir zu tun. Entschuldige das ungenießbare Essen.«
    »Wenn du morgen beizeiten fertig bist, gehen wir in der Stadt essen. Zum Ausgleich.«
    Unglaublich, dass ein Mensch so positiv und nett reagieren kann! Wenn sie selbst mit jemandem zu tun hat, der schlecht gelaunt ist, denkt sie immer gleich, es sei ihretwegen. Und sie hat keine Mittel, es zu durchbrechen, sie kann höchstens weglaufen oder grob werden. Könnte sie doch so denken wie er: Hier sitzt jemand, der genervt ist, und das hat nichts mit mir zu tun. Sie stellt ihren Teller neben das Spülbecken.
    »Geht es nicht?«
    Er tunkt den Steaksaft mit einem Stück Brot auf. Suzan muss an die Absaugpumpe denken, die Sekrete des Patienten in einen Behälter unter dem Operationstisch befördert. Es ekelt sie dabei nicht. Eiweiße, rote Blutkörperchen – kein Grund, sich unangenehm berührt zu fühlen. Dazu geben andere Dinge Anlass.
    »Drik«, stößt sie hervor. Peter sieht sie ernst an.
    »Was ist mit Drik?«
    »Er kommt nicht mehr.«
    »Freitag war er doch noch hier. Er kommt nicht mehr jeden Tag, das stimmt. Hat er etwas gesagt?«
    Suzan nickt. Peter wartet. Sie holt tief Luft.
    »Er möchte selbstständig sein. Sich von meiner Fürsorge befreien, so wie er es ausgedrückt hat. Als wenn ich ihn gefangen halten würde!«
    Peter legt seine Serviette auf den Tisch und setzt sich neben seine Frau. Er legt den Arm um sie.
    »Mensch, Suus, jetzt machst du’s schon wieder. Gibst dir die Schuld. Das musst du nicht. Hör auf damit.«
    »Aber er hat es doch gesagt!«
    »Was er sagt, entspringt seinen Beweggründen und seinen Wünschen. Vielleicht legt sich die Trauer jetzt ein wenig, vielleicht hat er eine Freundin, vielleicht möchte er sich jeden Abend betrinken. Seine Sache, verstehst du? Das hat nichts mit dir zu tun.«
    Sie wischt sich mit ihrer Serviette über die Augen.
    »Als ich so etwa zwölf war, bin ich oft zu ihm ins Zimmer gegangen, und wir haben zusammen Platten gehört. Er konnte verstehen, was die da sangen. Ich durfte stundenlang dableiben, auf seinem Bett liegen, während er seine Hausaufgaben machte. Unten hörten wir Leida staubsaugen, aber wir waren zusammen in Sicherheit. Am Ende des Schuljahrs verschwand er. Ganz plötzlich. Ich muss das zwar gewusst haben, natürlich ist darüber gesprochen worden, dass er studieren wollte, aber ich hatte mir wohl nicht klargemacht, dass er damit auch ein für alle Mal weggehen würde.«
    »Hat er selbst nichts darüber gesagt?«
    »Er ließ mich einfach bei diesen beiden Menschen zurück. Einfach so, ohne vorherige Ankündigung.«
    »Und du?«
    »Ich weiß es nicht mehr so genau. Ich schrieb ihm Briefe. Und ich durfte ihn hin und

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