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Die Betäubung: Roman (German Edition)

Die Betäubung: Roman (German Edition)

Titel: Die Betäubung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Enquist
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nicht gesagt hat, dass sie Allard kennt. Ach, bei uns laufen so viele herum, könnte sie sagen. Ohne OP-Kleidung erkennen wir einander gar nicht wieder.
    »Kennst du meine Frau?«, wird Peter Allard fragen. Und dann? Eine gestotterte Antwort? Nein, bloß keine Begegnung, sie muss eine List ersinnen, für nachher. Dass Roos’ Konzentration nicht gestört werden dürfe zum Beispiel, besser, sie sähen sie erst im Anschluss.
    Sie schließt die Augen und versucht sich zu vergegenwärtigen, was Drik einmal über seine Lehrtherapieklienten erzählt hat. Dass sie selten damit aufhörten, wenn die vorgeschriebene Zeit absolviert sei, hat er gesagt. Sie schießt in ihrem Sitz hoch. Peter schaut verdutzt zur Seite. Es könnte sein! Angenommen, Allard geht noch einmal die Woche zu Drik, und sei es nur, um den Wechsel in seiner Weiterbildung zu besprechen. Doch dabei bleibt es natürlich nicht. Man soll ja alles sagen, was einem in den Sinn kommt, wie sie weiß. Sie stöhnt und schlingt die Arme um ihren Bauch.
    »Bauchschmerzen«, flüstert sie. Peter legt tröstend die Hand auf ihren Oberschenkel.
    Versuch nachzudenken! Vielleicht hat Allard nichts gesagt. Man erzählt seinem Therapeuten doch wohl nicht, dass man mit seiner Schwester schläft. Aber ihm ist womöglich gar nicht klar, dass ich Driks Schwester bin. Dafür hat Drik bestimmt mit der Therapie aufgehört, als Allard auf ihrer Abteilung anfing. Wenn eine zu große Nähe besteht, ist keine Behandlung möglich, das sagen sie beide, Peter und Drik. Freunde, Angehörige – auf keinen Fall. Die sollte man überweisen. Dann gibt es also vielleicht einen anderen Therapeuten irgendwo in der Stadt, der weiß, was während der Nachtdienste passiert.
    Sie weiß nichts. Nicht, ob Allard noch in Therapie ist, nicht, ob er Drik etwas erzählt hat, nicht, ob Drik das mit Peter besprochen hat. Intervision. Denk lieber nicht daran. Stell dich dumm, lass alles geschehen. Gib Allard die Hand und stell dich vor. Ach, du arbeitest bei uns? Die Abteilung ist aber auch so groß geworden. Obwohl, doch, dein Gesicht kommt mir bekannt vor.
    Ohrenbetäubender Applaus bricht los. Der Pianist bekommt Blumen, der Dirigent bittet Allard, sich zu erheben, auch er bekommt Beifall für sein gelungenes Solo.
    »Hast du den jungen Schuurman gesehen?«, sagt Peter in der Pause zu Drik. »Der kann ja wirklich großartig spielen. Hätte ich ihm gar nicht zugetraut. Kommt er eigentlich noch zu dir? Wusstest du, dass er Cello spielt?«
    »Entschuldige, ich komme gleich«, sagt Drik, »ich muss erst was für Leida besorgen.«
    Er holt am Büfett einen Tee und geht für Zucker und einen Löffel noch zweimal hin und her. Als er sich endlich neben Leida setzt, verschwindet Suzan zu den Toiletten. Sie schließt sich in einer Kabine ein und setzt sich auf den Klodeckel.
    Erschöpft. Ich will nach Hause. Ruhig atmen jetzt, alles geht vorbei, auch dieser Abend. In den nächsten paar Minuten noch kurz aufpassen, keine Fehler machen. »Der Weiterbildungsassistent trennt sorgfältig zwischen Arbeit und Privatem«, steht im neuen Lehrbuch. Hier sieht man, was passiert, wenn man das nicht kann. Ich hätte nicht kommen sollen, aber ich wusste es ja nicht. Sie erhebt sich, trinkt Wasser aus dem Hahn und hält die Hände lange unter den kalten Strahl. Als sie von den Toiletten zurückkommt, drängt das Publikum schon wieder in den Saal.
    »Geht es?«, fragt Peter. »Du hast kalte Hände. Fühlst du dich auch gut?«
    »Geht schon«, sagt Suzan. Das Orchester sitzt bereit, der Dirigent erhält Applaus, verbeugt sich und wendet sich seinen Musikern zu. Eine Dreiviertelstunde dauert das intonierte Stück, dauert das Warten. Als das Konzert beendet ist, schaut Suzan auf Roos’ Gesicht, das erhitzt ist vom Spielen, erregt vom Erfolg. Einen Moment lang ist sie stolz, dann schlägt die ängstliche Anspannung wieder zu.
    Die Orchestermitglieder trudeln im Foyer ein, um ihre Freunde und Verwandten zu begrüßen. Drik hat Leida mit einem Glas Rotwein an einem Tisch in der Ecke geparkt. Suzan nimmt neben ihr Platz. So kann sie den Raum überblicken. Allard steht weit weg, mit dem Rücken zu ihr. Er unterhält sich mit einer kleinen, schlanken Frau, die eine gewisse Ähnlichkeit mit ihm aufweist. Die Augen, die Brauen. Seine Mutter also. Neben ihr steht ein ungepflegter Mann mit schlaffem Körper, aber sympathischem Gesicht. Er haut Allard auf die Schulter. Er trinkt Bier.
    Roos stößt auf das Grüppchen, als sie das Foyer betritt.

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