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Die Betäubung: Roman (German Edition)

Die Betäubung: Roman (German Edition)

Titel: Die Betäubung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Enquist
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suchen ihre Plätze auf, mitten im Saal, Drik und Leida links vom Mittelgang, Peter und Suzan rechts.
    »Schön, dass Roos so etwas macht«, sagt Peter. »Das Bratschespiel ist wirklich ihrs. War ganz allein ihre Idee. Und so knüpft sie auch neue Freundschaften. Ich frage mich, woher sie diese Musikalität hat. Von uns jedenfalls nicht.«
    Neue Freundschaften, denkt Suzan. Der Rasierpinsel. Nicht daran denken. Wir werden hier einfach sitzen und stolz sein, genau wie früher beim Schulmusical. Gut, dass Drik Leida mitgelotst hat. Wir wirken fast wie eine richtige Familie.
    Die Musiker betreten mit ihren Instrumenten das Podium. Peter stupst sie an, als Roos erscheint, in einem engen schwarzen Kleid. Die glänzende rotbraune Bratsche hebt sich prachtvoll dagegen ab.
    »Bildschön«, flüstert Peter, »mit ihren schwarzen Locken, schau doch mal!«
    Aber Suzan starrt auf die hereinmarschierenden Cellisten. Ein großgewachsener junger Mann trägt sein Cello hoch erhoben vor sich her und nimmt am vordersten Notenpult Platz. Als er sitzt, spannt er seinen Bogen und kontrolliert rasch seine Saiten. Dann schaut er sich um. Er fängt Roos’ Blick auf, und Suzan sieht das Gesicht ihrer Tochter in einem wehrlosen Lächeln aufblühen. Der junge Mann lässt den Blick über das Publikum schweifen, als suche er jemanden.
    Gott steh mir bei, denkt Suzan. Was jetzt, was soll ich machen? Vorläufig nichts, einfach sitzen bleiben. Ich bin die Mutter eines Orchestermitglieds, ich sitze zwischen Tanten und Opas und Freunden von Orchestermitgliedern, ganz normal, es ist nichts Ungewöhnliches, ich bin ganz einfach kurzsichtig.
    Wieder ein Rippenstoß von Peter.
    »Siehst du den jungen Mann da vorn, bei den Cellos? Den kenne ich, der war bei uns in der Weiterbildung, Schuurman heißt er. Ich wusste gar nicht, dass er Musik macht.«
    Der Oboist hat sich erhoben und bläst einen langen, hellen Ton, der von allen Instrumenten übernommen wird. Darauf werden die Instrumente gestimmt – ein chaotisches Klanggewirr, das abrupt abbricht, als der Dirigent erscheint.
    Das Geschehen auf dem Podium beginnt und nimmt seinen Lauf, Suzan bekommt nichts davon mit, sie starrt nur. Sie sieht Roos treuherzig zum Dirigenten schauen, sie sieht Allard sein Instrument umarmen, sie sieht den Paukisten auf seine Felle schlagen. Was sie spielen, entgeht ihr. Sie erschrickt über den Applaus.
    »Er hat die Weiterbildung ganz plötzlich abgebrochen«, sagt Peter. »Das sei nichts für ihn. Er war bei Drik in der Lehrtherapie.«
    Suzan wirft einen Seitenblick zu ihrem Bruder jenseits des Mittelgangs hinüber. Er blättert mit mürrischem Gesicht im Programmheft. Leida späht, die Arme vor der Brust verschränkt, auf das Podium, wo Platz für den Solisten geschaffen wird. Zwei Studenten fahren einen großen Flügel nach vorn. Allard und seine Mitstreiter sind aufgestanden und schieben ihre Stühle zur Seite. Ich brauche Lärm, denkt Suzan, lass sie um Himmels willen wieder anfangen und Krach machen, dann kann ich vielleicht kurz nachdenken.
    Aber von Denken kann keine Rede sein. Wie gelähmt sitzt sie neben Peter und starrt auf das Podium, ohne aufnehmen zu können, was dort abläuft. Ein junger Pianist spielt laut und virtuos. Das Orchester hat wohl Probleme damit, denn die Musiker blicken ernst und besorgt. Mit einem Mal spielt das erste Cello allein. Suzan sieht, wie Allard sich bewegt: ökonomisch, kein bisschen zu viel, ganz ohne Gehabe. Die Melodie entgeht ihr. Sie hört Peter bewundernd seufzen.
    Lehrtherapie. Wie geht so etwas? Genauso wie eine normale Therapie, denkt sie sich, vielleicht etwas mehr auf berufliche Probleme zugespitzt. Was weiß sie darüber? Nichts. Dass so eine Lehrtherapie in der psychiatrischen Ausbildung obligatorisch ist. Aber Allard wird nicht Psychiater, da ist diese Therapie also nicht mehr nötig. Sie kann beruhigt sein, er hat schon im September in der Anästhesiologie angefangen. Und bei uns braucht man keine Therapie zu machen, denkt sie, im Gegenteil, je weniger Gefühle, desto besser. Entspann dich, es besteht keine Gefahr, du musst nur aufpassen, dass du ihm nachher in der Pause nicht über den Weg läufst. Müssen wir Roos etwa hinter der Bühne aufsuchen, in den Garderoben oder wie man das nennt? Ich gehe nicht mit. Ich schließe mich auf der Toilette ein. Peter kann das sehr gut allein erledigen. Und wenn er mit Allard spricht? Fragt, was er jetzt macht? Dann hat sie ein Problem, denn Peter wird sich wundern, warum sie

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